"Aspen Style" nennt sich das entspannte Cruisen über die Pisten, das Klaus Obermeyer in der Stadt in den Rockies unterrichtet. Unten ein Bild von ihm aus den 1950ern.

Foto: Klaus Obermeyer

Auch mit 96 arbeitet Klaus Obermeyer noch in der von ihm gegründeten Skifirma mit.

Foto: Franziska Horn

Er jodelt noch immer, auf Nachfrage oder ohne: Im Grunde seines Herzens ist Klaus Obermeyer ein Allgäuer Naturbursch geblieben – a wuida Hund, eine Frohnatur mit Unternehmergeist. Und mit einer großen Gabe: sich selbst und technische Entwicklungen am laufenden Band neu zu erfinden. Das wiederum ist Teil der amerikanischen DNA. Vom Tellerwäscher zum Millionär – vom Skilehrer zum Sportswear-Unternehmer, Obermeyer lebt ihn tatsächlich, den amerikanischen Traum.

Am 2. Dezember feierte der Schneesportler seinen 97. Geburtstag. Seine Geschichte hat er hunderte Male erzählt, immer wieder, jedes Mal gern. Mit Händen, mit Worten, mit Begeisterung, als könnte er sein eigenes Glück kaum fassen. Wenn er erzählt, klingt es, als ob alles gestern gewesen wäre. Seine Geschichte ist auch die von Aspen, und sie geht so: Klaus F. Obermeyer kommt am 2. Dezember 1919 in Oberstaufen auf die Welt. Sein Vater ist der Kunstmaler Heinrich Obermeyer, bekannt für sein fröhliches Naturell, seine Mutter Mina Pinkus ist Textilkauffrau mit Geschäftssinn. Mit drei Jahren beobachtet der kleine Klaus zum ersten Mal drei Nachbarn, die auf Skiern den Hügel heruntergleiten. Eine Initialzündung. "Ich war absolut fasziniert", sagt er.

Die ersten Ski

Zu Hause nimmt der Vater zwei Kastanienholzlatten aus einer Orangenkiste, Klaus nagelt seine besten Hausschuhe auf die Bretter, bindet die Spitzen mit einem Bindfaden hoch und wickelt ihn ums Knie. Seine allerersten Skier! "Nach vorn beugen durfte ich mich nicht, dann waren ja die Spitzen weg", lacht er. "Das war der Anfang, das hat alles verändert. Denn Skifahren ist mein Leben!" Mit vier bekommt er richtige Skier zu Weihnachten, mit echten, gebogenen Spitzen. "Was für ein Luxus!" Sie stammen von Marius Eriksen aus Oslo, Vater des späteren Olympia-Siegers Stein Eriksen. "Die Skier öffneten mir die Berge, die ganze Welt. Wir Kinder übten vor allem Schuss und das Springen, denn wir konnten ja keine Kurven fahren." Klaus Obermeyer lacht, wieder einmal. Mit zwölf gelingt ihm der erste Salto – und ist wochenlang Dorfgespräch. Später geht er klettern und bergsteigen, entwickelt sich zum versierten Alpinisten.

Vom Allgäu nach Aspen

Das Skifahren liebt er heute, mit 97, noch so wie damals: "Skifahren gibt dir Freiheit." Und Freiheit ist ihm wichtig. Klaus studiert Luftfahrttechnik, arbeitet als Ingenieur für Dornier in München. Er flieht aus dem engen Nachkriegsdeutschland, geht 1947 nach Amerika. 15 Tage lang fährt er mit dem Schiff über den Atlantik, kommt mit zehn Dollar in den USA an – und mit zwei Paar kurzen Lederhosen im Gepäck. Doch Firmen wie Boeing stellen nun keine Ingenieure mehr ein, jetzt nach dem Krieg werden keine Bomber mehr gebaut. "Also rief ich den Friedl Pfeifer von der Aspen Ski School an. Er sagte: Ja, komm, kannst für mich unterrichten."

Pfeifer zählt wie Obermeyer zu den Gründungsvätern Aspens. Der Rennläufer stammte aus St. Anton am Arlberg, lernte dort in der Kaderschmiede von Hannes Schneider das Skifahren. Schneider wiederum drehte als Schauspieler die bekanntesten Bergfilme der Zeit: "Der weiße Rausch" oder "Die weiße Hölle vom Piz Palü".

Pfeifer war bereits 1938 in die USA ausgewandert, diente in der berühmten 10. Gebirgsdivision und lernte dadurch Aspen kennen, damals eine verlassene Geisterstadt. Er erschloss die Resorts Aspen Mountain und Buttermilk, baute den ersten Sessellift, begründete die Aspen Skiing Corporation mit. Im Dezember 1947 trifft Obermeyer in Aspen ein. Der erste Eindruck? "Es war grau und kalt. Dieser Ort wird es nie zu was bringen", dachte er sich. Er will schnell wieder weg. Doch dann schneit es über Nacht, morgens bringt die Sonne den Schnee zum Glitzern. Klaus ist hingerissen. "Dieser Schnee war wie Champagner, so ,fluffy' wie in Europa vielleicht in 3000 Meter Höhe!" Er bleibt. Zehn Skilehrer gibt es zu der Zeit, Obermeyer verdient zehn Dollar pro Tag.

Heute arbeiten rund 1500 "ski instructors" in den vier Resorts Snowmass, Buttermilk, Aspen Mountain und Aspen Highlands, die zusammen rund 500 Pistenkilometer haben. Man unterrichtet den "Aspen Style", ein entspanntes, lässiges Cruisen über die Pisten. "Dabei stammt der Stil ursprünglich von Hannes Schneider und seiner Arlberg-Technik", lacht Obermeyer.

Der Prototyp der Stepp-Jacke

Als er in Aspen eintrifft, hat Pfeifer gerade seinen ersten, 15 Minuten langen Einsitzer-Sessellift fertiggestellt, den "Lift-1", damals der längste der Welt. Ein Superlativ, ein Problem: Die Leute froren bei der Fahrt. Aus Angst, dass seine Schüler deswegen vorzeitig den Kurs beenden, zerschneidet Obermeyer die gesteppte Bettdecke, die Mutter Mina ihm aufgedrängt hat. "Die Federn sind geflogen wie der Schnee." Er näht die Teile zu einem Parka um – es ist der Prototyp des ersten Daunen-Stepp-Anoraks. "Ich sah aus wie ein Michelin-Männchen und hatte wochenlang Gänsefedern im Frühstück", erinnert er sich.

Die Idee funktioniert. Er verkauft das Modell für 250 Dollar an einen Freund und Skischüler – den Schauspieler Gary Cooper. "Ein Auto wie ein Buick kostete samt Radio um die 1250 Dollar. Mein Jacken-Deal war also ein gutes Geschäft." Wenig später richtet er eine Werkstatt ein, in der 17 Näherinnen arbeiten. Er reist mit dem späteren Skifilmer Warren Miller durch die Staaten, zusammen versuchen sie ihr Glück als Verkäufer von Sport-Accessoires. "Eine Jacke ist leichter zu konstruieren als ein Flugzeug", folgert er. Er gründet Sport Obermeyer, importiert Ausrüstung wie zum Beispiel Skiboots aus Europa. Was es dort nicht gibt, erfindet er: den Skistopper, leichte Alustöcke, eine Höhensonnencreme, denn Aspen liegt auf 2400 Meter Höhe. Außerdem verspiegelte, unzerbrechliche Sonnenbrillen, den Turtleneck-Skipulli.

Er arbeitet zwölf Jahre lang als Skilehrer, gibt auch Prominenten wie der Schauspielerin Ingrid Bergman Privatstunden. Deren Ehemann Petter Lindström ist so eifersüchtig auf Klaus mitsamt seinem Skilehrer-Schmäh, dass er sich heimlich zwischen den Bäumen versteckt, wenn Ingrid auf die Piste geht. Es heißt, die Schwedin habe sich wenig später von ihrem Gatten getrennt. 1965 heiratet Klaus seine erste Frau – sie modelt für ihn und entwickelt mit ihm seine Designs: Margaret Hepburn Perry, genannt "Nome", ist eine Nichte der vierfachen Oscar-Preisträgerin Katherine Hepburn. Sie bekommen zwei Söhne und eine Tochter.

Seit 25 Jahren Sportmode

"Es gab so viele Möglichkeiten, die Dinge zu verbessern, wenn du deinen Sport aus tiefstem Herzen liebst. Heute tragen Hunderttausende unsere Modelle." Bis heute arbeitet der Chef aktiv in der Firma, die 35 Mitarbeiter in Aspen hat und rund 20 in Denver. Seit 25 Jahren fertigt das Unternehmen nur noch Sportmode. Obermeyers Sportverrücktheit hat noch einen Effekt: "Ich schwimme täglich eine halbe Meile, mache Aikido, fahre Ski und bleibe in Form." Bei ihm heißt das: 130 Skitage pro Saison – mit 96 Jahren.

"Die Pisten sind mein Labor für neue Ideen und Erfindungen. Und Tage ohne Skifahren kehren nie mehr zurück!" In seiner Firma gibt es eine unkonventionelle Regel, die "Powder Rule": Hat es über Nacht mehr als sechs Inches (gut 15 Zentimeter) geschneit, darf die Belegschaft morgens fraglos Ski fahren gehen und später kommen. "Manchmal wird das Maß auch diagonal angelegt", grinst Klaus. An solchen Tagen senden die Radiostationen von Aspen morgens den berühmten Obermeyer-Jodler. Und jeder weiß: Jetzt geht's auf die Piste! Bei aller Naturverliebtheit – und Naturverträglichkeit der verwendeten Materialien – wollte der Unternehmer immer auch menschenverträglich sein. Das ist dem Firmenchef wichtig, den viele nur "Mr. Aspen" nennen.

Wie Aspen wurde, was es ist? "Ach, es hat viele tolle Leute hergezogen, wie den Walter Paepcke aus Chicago, intelligente Leute mit positiver Energie, da ist mein Anteil nur ein kleiner Part." Paepcke holte übrigens den österreichischen Bauhaus-Künstler Herbert Bayer, der das bekannte Logo für Aspen entwarf: ein stilisiertes Espenblatt, zugleich die Spur eines Skifahrers. Seit 1997 ist Obermeyer sowohl in der nationalen als auch in der Ski and Snowboard Hall of Fame von Colorado verewigt, seit 2015 in der Aspen Business Hall of Fame.

Was vermisst Klaus am meisten in der Neuen Welt? "Pretzels", sagt er. Seine Heimat in der Alten Welt hat er zuletzt vor zwei Jahren besucht. "Willst du h****, willst du saufen, komm nach Oberstaufen", singt er, freut sich dabei diebisch über die Gesichter seiner Gäste aus dem fernen Deutschland. Wir sitzen in seinem Büro im Aspen Business Center in Nähe des Flughafens. Obermeyer führt seine "inventions" vor, den Skistopper zum Beipiel, zeigt Fotos, erzählt dabei mit Trenker'scher Alleinunterhalterqualität.

Seinen 97. Geburtstag feiert er wie jedes Jahr: mit bayerischer Blaskapelle, Alphorn, Apfelstrudel mit Schlag. Und mit Jodeln. Er schaut auf ein langes, spannendes Leben zurück. Seine Bilanz: "Du kriegst am Ende, was du willst. Und wir wollten Skifahren, den Sport so komfortabel wie möglich machen." Aktuell freut er sich auf das Jahr 2019 und auf den Tag, an dem er 103 Jahre alt wird. Wieso? "Dann kann ich sagen, dass ich seit einem Jahrhundert Ski fahre!" (Franziska Horn, RONDO, 31.12.2016)