Friederike Mayröcker ist die erste Gewinnerin des neu initiierten Österreichischen Buchpreises.

Foto: Regine Hendrich

Wien – Etwa so viele Ehrungen wie Lebensjahre und Bücher zählt sie schon. Und das sind im Fall Friederike Mayröckers nicht wenige. 1924 in Wien geboren, schreibt sie ebendort seit ihrem 15. Lebensjahr. Einen einzigen, nicht enden wollenden Text, könnte man manchmal meinen, hie und da nach Gelegenheit und Notwendigkeit gekappt und in Formate gepackt: Hörspiele, Lyrik- und Prosabände.

Für ihren aktuellsten, fleurs, hat sie am Dienstagabend – wer hätte die Grande Dame der heimischen Literatur nominieren und dann hintanstellen können?! – den ersten Österreichischen Buchpreis (20.000 Euro) erhalten. Es ist nach études und cahier der dritte Titel in einer Abfolge, die am "22.12.10", so genau datiert die Autorin ihre Tagwerke, ihren Anfang nahm.

Darin sprießt und welkt, wettert, kreucht und fleucht es. Die Natur, Pflanzen und Tiere sind, wie könnte es bei Mayröcker anders sein, immer auch Sinnbild ihres Innenlebens. 91 Lebensjahre, im Dezember werden es 92, gehen nämlich nicht ohne Schmerz vorbei. Der größte: der Verlust des "Hand- und Herzgefährten" Ernst Jandl vor 16 Jahren. Anderer Kummer gilt dem Altern und dessen Folgeerscheinungen. Aber sie vergehen auch nicht ohne Freude, liebe Menschen, Musik, Kunst und Bücher.

Trotzdem will Mayröcker die kreisende Bewegung in den wiederkehrenden Worten und Motiven, mit der sie das Denkgrößte und Weltkleinste, das Erschütternde und das Ephemere verbindet, nicht autobiografisch verstanden wissen. Formal-rational fügt sie ihre Filzstiftnotizen auf der Schreibmaschine zueinander, nicht emotional.

Lange und verhassterweise war diese Stöbernde in den Worten Englischlehrerin, ehe sie sich 1969 zum Schreiben karenzieren ließ. Seit damals ist ihre "Zettelhöhle" genannte Wohnung in der Wiener Zentagasse so legendär wie ihre Missachtung jeder sprachlichen Konvention. Die Jury lobte denn auch "ein faszinierend freies Spiel der Worte und Assoziationen" sowie "ein Gedankenstöbern, das auf fast schon verstörende Weise wunderschön und gelungen ist".

"was brauchst du?", fragt Mayröcker in einem ihrer bekanntesten und vielleicht zugänglichsten Gedichte. Antwort: "nur einen Winkel ein Dach / zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen / zu schreiben zu schweigen zu sehen den Freund / die Gestirne das Gras die Blume den Himmel". Diese Texte können einen ebenso oft, wie sie ratlos machen, auch beglücken. (Michael Wurmitzer, 8.11.2016)