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Wie das frische Essen nach Hause kommt, stellt vor neue Herausforderungen.

Foto: ap/applewhite

In der Zukunft sind Supermärkte wohl nicht mehr an jeder Ecke einer Stadt zu finden. Nein, sie rücken den Konsumenten noch viel näher. Sie ziehen geradezu bei ihnen zu Hause ein. Für Milch, Brot, Kaffee, Shampoo reicht es dann, zu Hause einen Knopf zu drücken oder seine Stimme zu erheben. Amazon zeigt es vor: Der Internethändler gibt Endverbraucher billige Hardware in die Hand und zählt auf laufende Umsätze durch den täglichen Einkauf von Lebensmitteln und Haushaltsbedarf.

Da gibt es den Dash Scanner, ein kleiner Stift, den man durchs Haus tragen kann, dabei benötigte Produkte ins Mikrofon diktieren oder ihren Barcode scannen. Es gibt die Dash Buttons, die Küche, Bad und andere Verbrauchsorte zieren und auf Knopfdruck einen mit ihnen verbundenen Bestellwunsch durchs Netz schicken. Einkaufslisten kann man auch dem interaktiven Wohnzimmer-Steuerungsgerät Amazon Echo diktieren.

Der Drucker bestellt selbst

Als nächster Schritt der engmaschigen Vernetzung von Verkäufer und Konsumenten im Smart Home der Zukunft steht dann das Dash Replenishment Service von Amazon bereit, wobei die Nachbestellfunktion schon fix in neue Geräte verbaut ist. Die Drucker der Zukunft bestellen den Toner selbst, bevor er ausgeht. Der Sensor im Waschmittelbehälter der Waschmaschine löst bei niedrigem Füllstand einen Bestellvorgang aus. Firmen wie Samsung, Brother oder Whirlpool sind schon an Bord. Der Schritt zur sensorbestückten Waage oder Müslidosen mit automatischer Nachbestellung ist nicht mehr weit.

Während Amazons Dash Buttons und Echo auch bereits in Österreich verfügbar sind, ist der Dash Scanner bisher auf Städte in den USA und auf London beschränkt. Dort ist auch bereits die Plattform Amazon Fresh angelaufen, über die Lebensmittel – inklusive Frischware wie Obst, Gemüse und Fleisch – bestellbar sind. Wie schnell der Internet-Handelsriese wächst, ist bekannt. Europas Lebensmittelhändler sind dabei, sich mit entsprechenden Online-Angeboten zu wappnen.

Angst vor Amazon Fresh

Auch in Österreich sind die Supermärkte längst online: Billa, Spar, Merkur und Co haben ihre Strategien umgestellt, verkaufen bereits online und entwickeln ihre digitalen Geschäftsmodelle weiter. Und auch Start-ups wie Zuper und Yipbee mischen mit und liefern Supermarktware schnell nach Hause. Der Markt ist noch klein, wächst aber schnell. Billa spricht etwa davon, dass sich der Onlineumsatz im vergangenen Jahr "vom Äquivalent einer Filiale auf den Umsatz von mehr als vier durchschnittlichen Billa-Filialen gesteigert" hat.

"E-Food wird der Haupttreiber für Veränderung im Handel sein", sagt Stephan Rüschen, Studiengangsleiter Handel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, der vor einiger Zeit bei der Logistikveranstaltung "Forum Green Logistics 2016" in Wien einen Vortrag zu dem Thema hielt. Er glaubt, dass die geringen Marktanteile von wenigen Prozent, die der Onlinehandel im Lebensmittelbereich im Moment noch hat, bis 2030 auf 30 Prozent hinaufschnellen kann.

Amazon denkt von vornherein wie ein digitaler Dienstleister, was – sollte er mit der Lebensmittelzustellung auch nach Deutschland und Österreich kommen – die lokalen Händler vor Herausforderungen stellen wird. "Alle Händler haben Angst vor Amazon Fresh", sagt Rüschen. Mit Zustellungsspannen von wenigen Stunden und geringen oder keinen Versandkosten mache der Händler "erst einmal das, was der Kunde will". Er glaubt, dass es zu einem starken Verdrängungswettbewerb und zu einer Bereinigung des Ladennetzes kommen wird. "Die Anbieter die Sie heute kennen, werden 2030 so alle nicht mehr da sein", erklärt der Handelsexperte.

Neue Herausforderungen durch Hauszustellung

Der Erfolg der Anbieter wird von vielen Faktoren abhängen. Für die meisten Supermärkte ist Onlinehandel neu, für die meisten Onlinehändler sind Lebensmittel neu. Das Vertrauen der Konsumenten müssen sie sich für den jeweils neuen Bereich erst erarbeiten, neue Positionierungen müssen gefunden werden. "Die etablierten Händler können ihr Sortiment nicht einfach online spiegeln", sagt Rüschen.

Die Online-Positionierung könne vollkommen anders aussehen. Natürlich geht es darum, die Bedürfnisse der Konsumenten zu kennen, und sich bezüglich Preis, Lieferdauern und gegenseitiger Ergänzung von Online- und Offlinehandel bestmöglich an die Kundenwünsche anzupassen. Viele Fragen sind noch offen: Werden sich die technischen Bestellhilfen nach Amazon-Vorbild durchsetzen? Was ist mit mobilem Shopping am Handy? Welche Lieferarten werden sich durchsetzen? Und wie kann man den Verpackungsmüll gering halten?

Gerade die Frage, wie das frische Essen nach Hause kommt, stellt vor Herausforderungen, die bis in die Städteplanung hineinreichen. Die Aufgabe, Hauszustellungen möglichst effizient zu bewältigen, könnte eine ganze Reihe von Trends auslösen: eine neue Generation von Niedriglohnjobs, neue Kooperationen zwischen Zustellern, vom Boom von Elektrolastenbikes bis hin zu autonom navigierenden Robotern, die frische Ware an der Haustür abliefern.

Wie die Lebensmittel im Jahr 2030 tatsächlich zu uns nach Hause kommen, ist im Detail nicht abzusehen. Für viele Menschen ist eine Stadt ohne feinmaschiges Supermarktnetz kaum vorstellbar. Ein mögliches Zukunftsszenario könnte auch dem guten alten Greißler Chancen einräumen, in neuer Form zurückzukehren: Er bietet, was der Onlinehandel nicht leisten kann: ein kleineres Sortiment an frischen Waren, die man vor Ort – begleitet von persönlicher Beratung – begutachten und auswählen kann. (Alois Pumhösel, 12.11.2016)