Wien – Mehr rechtliche Handhabe gegen Hasspostings und Gewaltaufrufe in sozialen Netzwerken fordern Experten im Grünbuch "Digitale Courage". Nach dem heuer neu eingeführten Cybermobbing-Straftatbestand brauche es im Strafrecht weitere Ergänzungen, um gegen Hassbotschaften im Internet vorgehen zu können, meint etwa die Linzer Juristin Lyane Sautner. Am Mittwoch wird das Thema im Bundesrat diskutiert.

"Dringenden Handlungsbedarf" ortet auch die auf Medien- und Internetrecht spezialisierte Anwältin Maria Windhager. Bei Verhetzung und gefährlicher Drohung sei der rechtliche Rahmen derzeit so eng gefasst, dass es kaum zu Verurteilungen komme, man sollte deshalb einen neuen Straftatbestand zwischen Beleidigung und Verhetzung in Erwägung ziehen. "Es geht darum, schwere verbale Übergriffe vor einer großen Öffentlichkeit zu erfassen", so Windhager, die auch den STANDARD vertritt.

"Trauriger Alltag"

Sautner und Windhager präsentieren ihre Überlegungen am Mittwoch im Bundesrat bei der parlamentarischen Enquete "#Digitale Courage". Bundesratspräsident Mario Lindner (SPÖ) will das Thema Hass und Gewalt im Internet damit "in den parlamentarischen Prozess" einbringen, wie er der APA sagte. Das von Lindner initiierte Grünbuch soll den Input dafür liefern. "Hass im Netz ist für die breite Mehrheit der Bevölkerung keine Randerscheinung mehr, sondern gehört inzwischen zum traurigen Alltag", erklärte Lindner.

Neben Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) und Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ) sowie einer Reihe von Rechts- und Social Media-Experten treten bei der von ORF III live übertragenen Enquete mit Ö3-Moderatorin Elke Rock, vormals Lichtenegger, oder der Journalistin Barbara Kaufmann auch Betroffene von sogenannten Shitstorms und Hasspostings auf.

Appell zu mehr Courage

Die Autorin Ingrid Brodning empfiehlt gegen "digitale Einschüchterungsversuche" das Zusammenwirken aller Beteiligten und mehr Zivilcourage. Neben Plattform-Betreibern, die alles daran setzen müssten, durch bessere Moderation online schimpfwortfreie Diskussionsräume herzustellen, könne jeder einzelne etwas bewirken. Es gehe darum, auch online eine rote Linie zu ziehen. "Gefährliche Bedrohung, Verhetzung, üble Nachrede, Wiederbetätigung sind in unserer Gesellschaft nicht erlaubt. Die Politik könnte es Bürgern künftig einfacher machen, Anzeigen einzubringen und somit auf diese rote Linie zu Pochen", erklärt Brodnig.

Gerald Czech, beim Roten Kreuz für Neue Medien zuständig, weist unterdessen auf die Vorbildfunktion der Politik hin: "Bricht die Politik kommunikative Tabus, schlägt sich das auch in der Sprache und letztendlich in der Gefühlswelt der Menschen nieder." Das Rote Kreuz muss laut Czech inzwischen beachtliche Ressourcen aufwenden, um im Netz auf Vorwürfe zu reagieren, Verdrehtes richtig zu stellen oder sich sogar für seine Arbeit zu rechtfertigen.

Facebook: "Löschen konsequent"

Bei Facebook, das weltweit von 1,7 Milliarden Menschen genutzt wird und wegen der Verbreitung von Hasspostings und des zaghaften Vorgehens dagegen immer wieder in der Kritik steht, plädiert man für mehr Zivilcourage im Internet. "Der richtige Umgang mit Hassbotschaften und fremdenfeindlichen Inhalten beschäftigt uns seit geraumer Zeit. Wir wissen um unsere Verantwortung", schreibt Eva-Maria Kirschsieper, Head of Public Policy bei Facebook Deutschland, im Grünbuch "Digitale Courage". Es handle sich aber um ein "gesamtgesellschaftliches Problem, das wir als Unternehmen allein nicht lösen können".

Facebook will in Europa mittels Kampagnen und gemeinsamer Initiativen mit NGOs das Konzept der Gegenrede ("counter speech") bekannter machen und fördern. "Wir glauben, dass man mit Gegenrede vorurteilbehaftete und einseitige Meinungen nachhaltig verändern und die Diskussion positiv beeinflussen kann", so Kirschsieper.

Auch mit den Strafverfolgungsbehörden arbeite man zusammen. "Wir löschen Aufrufe zur Gewalt konsequent, wenn wir Kenntnis von ihnen erlangen." Gesetzesverstöße gehörten aber vor Gericht, und es brauche eine "konsequente strafrechtliche Verfolgung". Von Gesetzesverschärfungen hält man bei Facebook aber wenig. "Was es von der Politik braucht, sind keine neuen Gesetze, sondern Vorbilder. Vorbilder, die einen respektvollen Umgang mit anderen Meinungen vorleben und in schwierigen Situationen Courage zeigen", meint Kirschsieper.

Bundesratspräsident Lindner sieht alle Beteiligten gefordert. "Politik muss im Kampf gegen Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung im Netz eine wichtige Rolle spielen. Die Politik alleine kann diese Frage aber nicht lösen. Was unser Land deshalb braucht, ist ein Schulterschluss für mehr Zivilcourage. Wir müssen einen Schwenk in den Köpfen erzeugen", sagte Lindner der APA. (APA 13.11.2016)