Der richtige Umgang mit Schuld und Sühne ist von jeher eine der großen Herausforderungen für menschliche Gesellschaften. Es ist ein tief im Menschen sitzendes Empfinden: Schuld verlangt nach Sühne. Die direkte Wiedergutmachung von Leid und Unrecht ist aber oft nur sehr unbefriedigend oder gar nicht möglich. Etwa wenn Familien durch Verschulden eines Dritten eines ihrer Mitglieder verlieren. Oder wenn Menschen in ihrer Kindheit Gewalt und Missbrauch erleiden und die damit verbundene Last ein ganzes Leben lang tragen müssen. Was – abgesehen von finanzieller Abgeltung – kann den Menschen helfen, mit ihrem Schicksal besser fertigzuwerden, und ihnen Erleichterung verschaffen, wenn schon von "Wiedergutmachung" kaum die Rede sein kann? Was muss getan werden, um diese Erleichterung zu bewirken?

Diese grundsätzlichen Fragen stellte sich die von der Stadt Wien in den Jahren 2011 bis 2013 eingesetzte und von mir geleitete "Kommission Wilhelminenberg zur Untersuchung der Missbrauchsvorwürfe im ehemaligen Kinderheim Schloss Wilhelminenberg" von Beginn ihrer Tätigkeit an. Die Antwort versuchten wir in erster Linie von den vielen ehemaligen Heimkindern zu erhalten. Diese Frage stellte daher auch einen fixen Bestandteil der Interviews dar. In vielen dieser Gespräche haben Betroffene – neben dem Verlangen nach strafrechtlicher Ahndung – den Wunsch nach einem Schuldeingeständnis seitens der Politik und einer öffentlichen Entschuldigung an führender Stelle genannt, immer wieder erschien das Betroffenen noch wichtiger als eine finanzielle Anerkennung ihres Leids.

Entschuldigung

Eine der Empfehlungen an die Politik im Schlussbericht der Kommission Wilhelminenberg lautet denn auch: "Der erste und jedenfalls notwendige Schritt ist eine Entschuldigung an all jene, deren Kindheit durch den Heimaufenthalt zerstört wurde. Es ist notwendig, dass die heutigen Repräsentanten der Jugendwohlfahrt aus Politik und Verwaltung das Unrecht und das daraus erwachsene Leid anerkennen und öffentlich um Verzeihung bitten."

Verantwortung

Wenn das offizielle Österreich und die Kirche am 17. November nun im Parlament eine "Geste der Verantwortung" gegenüber jenen Menschen, die in der Zweiten Republik in staatlichen und kirchlichen Heimen Gewalt und Missbrauch erlitten haben, setzen, ist doch eine wichtige Forderung ehemaliger Heimkinder bei den Verantwortlichen angekommen. Es stellt dies einen – wenn auch spät gesetzten – wichtigen Schritt dar: nämlich Heimkinder für ihr erfahrenes Leid zu "entschulden" und an ihrer Stelle – spät, aber doch – Politik und Gesellschaft in die Verantwortung zu nehmen.

Nicht alle sind damit restlos glücklich. So äußerte etwa auch ein Betroffener im STANDARD die Befürchtung, dass die Republik sich mit "der Zeremonie reinwaschen" wolle. Aus der Sicht des Betroffenen ist diese Sorge auch sehr gut nachvollziehbar – nicht zuletzt, da die Politik die schweren Misshandlungen und Verbrechen in öffentlichen Heimen sträflich lange ignoriert hat.

Unrecht offen benennen

In den Gesprächen mit den Betroffenen war stets ein großes Bedürfnis spürbar: Das den Heimkindern widerfahrene Unrecht müsse offen benannt und festgemacht werden. Das ist auch nur zu verständlich, hat die Gesellschaft ihnen doch jahrzehntelang ein Gefühl der Wertlosigkeit vermittelt und Schuld an Missbrauch und Misshandlung zugewiesen. Dieses Gefühl begleitete viele ein Leben lang. Umso wichtiger ist es daher, spät, aber dafür umso deutlicher die wahre Verantwortung zu benennen

Selbstverständlich kann eine solche "Geste der Verantwortung" nicht in Konkurrenz zu finanziellen Ansprüchen stehen. Ebenso falsch wäre aber das Argument, der Staatsakt sei nichts wert, weil er den Betroffenen kein Geld bringe. Eine klare Anerkennung von Schuld durch die höchsten Repräsentanten des Staates ist eine Seltenheit und macht deutlich, dass hier ein Akt von hoher Symbolkraft gesetzt werden soll. Das kann aber nicht das Ende der Auseinandersetzung mit diesem düsteren Kapitel aus der jüngeren Geschichte sein. Sei es, dass – soweit rechtlich noch möglich – unmittelbar Verantwortliche strafrechtlich verfolgt werden, oder sei es, dass zu Recht finanzielle Ansprüche erhoben werden. Auch die Erforschung der Vorgänge darf nicht als abgeschlossen gelten, vielmehr gibt es hier noch viele blinde Flecken, die der Aufarbeitung harren.

Nicht zuletzt aber geht es jedenfalls auch darum, die notwendigen Lehren zu ziehen: Die staatlichen und kirchlichen Institutionen trifft die unabdingbare Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass allen Menschen, die ihrer Obhut anvertraut sind, nie wieder Ähnliches widerfahren kann. (Barbara Helige, 13.11.2016)