Die Grünen stehen womöglich vor dem größten Erfolg ihrer Geschichte. Die Chancen sind intakt, dass einer der Ihren zum Bundespräsidenten gewählt wird. Auch wenn sich Alexander Van der Bellen derzeit verschämt bemüht, seine Vergangenheit vergessen zu machen: Eine Portion Prestige und zusätzliche Salonfähigkeit würde für die Stammpartei schon abfallen.

Doch diese Dividende könnte durch die gleichzeitig angefallenen politischen Kosten aufgefressen werden. Um Van der Bellens heimatlichen Stimmenfang im Bürgertum nur ja nicht mit – huch! – provokanten Ansagen zu hintertreiben, haben die Grünen die Parteipolitik weitgehend eingestellt. Oder hat jemand in jüngerer Vergangenheit einen neuen Vorstoß in der Flüchtlings- und Integrationspolitik, angeblich Herzensanliegen, bemerkt? Bei ihrem Bundeskongress am Wochenende ließen die Grünen das Thema Nummer eins tunlichst unter den Tisch fallen.

Das hängt wohl auch mit Ratlosigkeit zusammen: Eine überzeugende Antwort, wie die eigenen moralischen Ansprüche mit einer Begrenzung des Flüchtlingsandrangs vereinbar wären, bleiben die Grünen schuldig. Doch die in der Partei nötige Klärung fällt aus Rücksicht auf VdB aus.

Nicht nur inhaltlich, auch finanziell laugt der X-Large-Wahlkampf die Grünen aus: Haben sie das Pech, dass bald Nationalratswahlen ausgerufen werden, könnte sich ein Erfolg Van der Bellens als Pyrrhussieg entpuppen. (Gerald John, 13.11.2016)