Salzburg – Eine nicht näher bezeichnete internationale Wirtschaftselite dirigiert die Geschicke der Welt. Garniert wird diese landläufige Vorstellung gerne mit dem Hinweis auf geheime Zirkel wie die "Bilderberger". Diese internationale Wirtschaftselite gebe es in dieser Form nicht, es gebe auch nicht den transnationalen Managertyp, sagt der deutsche Soziologe und Elitenforscher Michael Hartmann bei einer von der Uni Salzburg veranstalteten "Salzburger Vorlesung" im Gespräch mit Ö1-Journalistin Renata Schmidtkunz. Der Mythos diene dazu, dass sich die national Verantwortlichen aus der Verantwortung reden können.
Hartmann, von 1999 bis 2014 Professor für Soziologie im Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt, ist derzeit einer der gefragtesten Soziologen, hält Schmidtkunz in dem Ö1-Gespräch fest. Anlass sei sein jüngstes Buch "Die globalen Wirtschaftseliten. Eine Legende".
Russen nur in Russland
Hartmann verfolgt die Debatte über Managergehälter und Eliten seit Jahrzehnten. Die Argumentation, Manager müssten so hohe Gehälter erhalten, weil sie sonst ins Ausland abwandern, hält er beispielsweise für "Quatsch". Diese könnten gar nicht so einfach ins Ausland gehen. Auch die Milliardäre – selbst die russischen – seien viel stärker "national gebunden", als man gemeinhin glaube. Die Manager blieben fast ausschließlich im eigenen Kultur- und Sprachraum; nicht zuletzt aus persönlichen Gründen wie Familie und Umfeld.
Die von dem deutschen Wissenschafter vorgelegten Zahlen sprechen jedenfalls eine deutliche Sprache: Der Ausländeranteil bei Vorstandschefs der 1.000 größten Unternehmen weltweit betrage rund zehn Prozent, bei Aufsichtsratsvorsitzenden noch weniger. Und von mehr als 1.000 Milliardären wohnten gerade einmal 90 im Ausland. Es sei zum Beispiel falsch, dass russische Milliardäre alle außerhalb Russlands leben würden, etwa in teuren Immobilien in London oder der Schweiz. Von den 45 reichsten Russen wohnen nur zwei dauerhaft im Ausland. Gerade dort gelte: Man müsse in Moskau sein und Kontakt zur politischen Führung halten.
Exakte Forschung
Er wolle mit seiner Forschung in die politische Diskussion eingreifen, betont Hartmann. Es gehe um soziale Gerechtigkeit, bei der nächsten deutschen Bundestagswahl werde es um das Thema Steuern gehen – auch um die Erbschaftssteuer. Man müsse aber "wissenschaftlich exakt arbeiten", weil es auch auf Dauer politisch wenig nütze, "wenn man Ergebnisse frisiert", damit sie passen.
Herkunft bestimmt Denken
Zur Frage der politischen Eliten merkt Hartmann an: "Die eigene Herkunft prägt die Einstellung." Selbst "glatt geschliffene" Funktionäre, die aus unteren sozialen Schichten gekommen sind, seien für Fragen der Ungleichheit im Durchschnitt empfänglicher als Menschen, die aus wohlhabenden Familien stammen. Die Aufsteiger wüssten nämlich noch um die Probleme, die sie einst selbst erlebt haben. Auch die "Glattgeschliffenen" erinnerten sich immer an ihre eigene Kindheit und Jugend, die eben anders gewesen sei als für jene, bei denen der Vater ein großer Unternehmer war.
Was die Frauenquote angeht, ist Hartmann ein Befürworter. Kritisch merkt er freilich an, dass in der Wirtschaft die Quote die soziale Selektion verschärfen werde. Nach Hartmanns Beobachtungen steigen nämlich jene Frauen auf, die einen bürgerlichen oder großbürgerlichen Hintergrund haben. "Es werden die Töchter aus Familien in die Spitzenpositionen kommen, wo das die Söhne immer schon geschafft haben." Hartmann pointiert: "Bürgertöchter verdrängen Arbeitersöhne."
In einem STANDARD-Interview ergänzte Hartmann im Oktober dazu: "Und auch wenn ich dafür keine realistische Umsetzungschance sehe: Es müsste nach dem Vorbild der Frauenquote auch eine Quote für Arbeiterkinder geben." (Thomas Neuhold, 17.11.2016)