"Die öffentliche Denunzierung von Rassismus brachte lediglich den unterirdischen Hass zutage", sagt die US-amerikanische Philosophin Judith Butler.

Foto: Heribert Corn

Die Formen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Frauenhass, die wir jetzt sehen, sind nicht neu. Sie waren bereits in den bösartigen Kampagnen gegen Obama zu erkennen. Ein sicheres Anzeichen dafür ist auch das Wohlwollen gegenüber PolizistInnen, die unbewaffnete schwarze BürgerInnen töten. Weitere Indizien sind die abscheuliche Behandlung von MigrantInnen und die um sich greifende Islamfeindlichkeit. Aber all das kam vielen von uns derart abwegig vor, dass es uns nicht in den Sinn kam, dass die Hälfte der wählenden Öffentlichkeit auf dieser scheußlichen Welle mitschwimmen würde.

Befreiung vom Über-Ich

Schärfer formuliert: Donald Trump begeisterte eine große Gruppe von Menschen durch seinen rassistischen Diskurs. Diese Leute fühlten sich endlich befreit vom kritischen Über-Ich der feministischen und antirassistischen Bewegung. Die öffentliche Denunzierung von Rassismus brachte lediglich den unterirdischen Hass zutage. Trump emanzipierte eine rassistische Leidenschaft, die stets vorhanden war.

Warum hat niemand mit diesem Ergebnis gerechnet? Jene von uns, die in urbanen und progressiven Kreisen leben und arbeiten, lesen nicht viel über den Populismus der weißen Arbeiterklasse und darüber, wie sich die Wut ihren Weg bahnt. Bernie Sanders verstand diesen Zorn besser als die meisten. Jedenfalls müssen wir nach dem Wahlergebnis einige Anstrengungen unternehmen, um zu verstehen, wie die wirtschaftliche Entmündigung insbesondere bei weißen Männern in Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Frauenhass umschlagen kann.

Hasserfüllte Eiferer und Populisten

Wir müssen herausfinden, wie es dazu kommen konnte, dass unsere eigenen Positionen als Sichtweisen einer gebildeten Elite verunglimpft werden. Und wir müssen zu den grundlegenden Fragen der Demokratie zurückkehren: Wer zum Teufel sind diese Menschen? Es ist ein Leichtes, diese Wähler und Wählerinnen als irrationale und widerwärtige RassistInnen zu verachten. Das sind sie auch. Aber es muss einen Weg geben, um aus unseren eigenen engen Kreisen auszubrechen, damit wir diese Wut und ihre Ursachen verstehen können. Wir müssen uns auch fragen, wer wir sind und wie wir unser Sichtfeld derart einschränken konnten, dass wir diesen Wahlausgang nicht haben kommen sehen.

Noch ein Punkt erscheint mir wichtig, und das ist die Bildung. Viele Trump-WählerInnen sind schlecht gebildet und misstrauen Bildungseinrichtungen, einschließlich der Universitäten. Diese werden als zu teuer, elitär und unnötig angesehen. Der Klassenunterschied in dieser Frage ist enorm. Aber je mehr wir leistbare Bildung verlieren, desto mehr werden hasserfüllte Eiferer und Populisten unser politisches Leben lenken. Trump liest nicht. Und denkt nicht daran, dass er das tun sollte. (Judith Butler, 17.11.2016)