Als das Parlament im September das Grenzabkommen ratifizieren wollte, organisierte die Opposition Proteste.

Foto: APA / AFP / ARMEND NIMANI

Wer das albanische Gewohnheitsrecht, den Kanun, liest, kann erahnen, weshalb Grenzabkommen traditionell so heikel sind. "Grenzsteinversetzen gilt dem Spielen mit Totengebein gleich", steht da geschrieben. Seit mehr als einem Jahr soll das Grenzabkommen mit Montenegro vom kosovarischen Parlament ratifiziert werden. Doch die nationalistische Opposition behauptet, dass in diesem Abkommen Weideflächen in den Bergen Montenegro zugeschlagen worden seien.

Das entspricht zwar nicht den Expertengutachten, aber die Causa ist mittlerweile zu einer patriotischen Frage geworden. Die Regierung schafft keine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die Ratifizierung ist aber Voraussetzung dafür, dass der Kosovo die Visaliberalisierung bekommt und sich Kosovaren als Touristen drei Monate im Schengenbereich aufhalten können.

Lunacek fordert Ratifizierung

Vergangene Woche versuchte die Vizepräsidentin und Kosovo-Berichterstatterin des EU-Parlaments, Ulrike Lunacek, bei einem Besuch in Prishtina die Politiker zum Einlenken zu bewegen. "Ich bitte das Parlament, dringend zu liefern", mahnte sie, "die kosovarischen Bürger haben die Visafreiheit verdient."

Sie wies darauf hin, dass es angesichts des steigenden Rechtspopulismus schwieriger werde, dass die EU-Innenminister einer Visafreiheit zustimmten. Die Welt warte nicht auf den Kosovo, so Lunacek. Der Balkanstaat hat 93 der 95 Bedingungen erfüllt. Doch die Opposition will Neuwahlen – und an die Macht. Regierungschef Isa Mustafa (LDK) ist schwach und nicht in der Lage, sich durchzusetzen. Und der Koalitionspartner PDK vergönnt ihm ohnehin keinen Erfolg.

Jetzt mit neuer Vorwahl

Obwohl auch die Wirtschaft von der Visaliberalisierung profitieren würde, geht es vielen Politikern zurzeit um eine ganz andere Sache. Nächstes Frühjahr beginnt das Sondergericht für Kriegsverbrechen seine Arbeit. Und einige Parteiführer und ihre Freunde fürchten sich vor Anklagen. Vier Parteien sind aus den Strukturen der Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK) hervorgegangen. Manchen Politikern gehe es darum, sich nun wechselseitig in Schach zu halten, damit keiner vor Gericht zu reden beginne, meinen manche.

Indessen gibt es zumindest Fortschritte im Dialog mit Serbien. Vergangene Woche wurde die Vorwahl (00383) für den Kosovo vereinbart. Serbische Gemeinden bekommen im Gegenzug einen eigenen Telefonanbieter. Als Nächstes soll die Einigung im Energiebereich umgesetzt werden, dann kann endlich das Statut für den Verband der serbischen Gemeinden verfasst werden.

Brücke wird geöffnet

Zumindest eine Vereinbarung wird bereits umgesetzt: Wer durch Mitrovica fährt, sieht wie die jahrelang gesperrte Brücke über den Ibar, der den von Serben bewohnten Norden von dem von Albanern bewohnten Süden trennt, gerade freigeräumt wird.

Am Mittwoch wurde außerdem bekannt, dass die kosovarischen Behörden Anschläge von Anhängern der Terrormiliz "Islamischer Staat" verhindert haben. 19 Personen wurden verhaftet. (Adelheid Wölfl aus Prishtina, 18.11.2016)