Industrie 4.0 als "Naturgesetz", das alleinig unsere Zukunft bestimmen darf? Der Diskurs ist auf eine breitere Basis zu stellen, zu öffnen und mit den nötigen Perspektiven zu versehen.

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Industrie 4.0 ist ein von den technischen Eliten der Industrienationen entwickeltes Modernisierungskonzept, das unsere Arbeitswelt der Zukunft grundlegend verändern wird. Schätzungen zufolge betrifft es die Hälfte der bezahlten Jobs, die derzeit von Frauen und Männern ausgeführt werden. Die Veränderung der Arbeits- und Konsumwelt wird das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine auf eine neue Stufe stellen und unser gesellschaftliches Leben nachhaltig modellieren. Die Rede ist von nichts Geringerem als der vierten industriellen Revolution.

Dieser Diskurs über unsere Zukunft wird derzeit auf einem Abstraktionsniveau geführt, das sich Nichttechnikern nur schwer erschließt. Es ist hoch an der Zeit, die geplanten Szenarien zu beschreiben, auf die Veränderungen aus humanistischer und speziell feministischer Perspektive hinzuweisen und Möglichkeiten zu eröffnen, die Gestaltung unserer Zukunft auf eine breitere Basis zu stellen.

Es ist nicht naturgegebenes Gesetz, dass das Konzept Industrie 4.0 das einzige zukunftsweisende Szenario für die Sicherstellung unseres Lebens in Demokratie, Solidarität und Wohlstand ist.

Forderungen im Feld der etablierten Politik

  • Die Repräsentation von feministischen Akteurinnen in sämtlichen Deutungs- und Entscheidungsstrukturen der derzeit installierten Thinktanks – wie zum Beispiel die Plattform Industrie 4.0 Österreich – mit dem Ziel, nationale und transnationale geschlechtsspezifische Konsequenzen der vierten industriellen Revolution offenzulegen und diese in Deutung und Ausgestaltung der neuen Arbeitswelt auch durch die feministische Perspektive zu erweitern.
  • In der Debatte um die angeblich "gute Arbeit", die uns in der zukünftigen Arbeitswelt in Aussicht gestellt wird und von der niemand genau weiß, was das sein soll. Diese Diskussion wird derzeit auf europäischer Ebene in den Gewerkschaften geführt.
  • In wirtschaftlichen und politischen Gremien, die bereits Maßnahmen gesetzt haben (z. B. flächendeckende Versorgung der Breitbandtechnologie), weitere Maßnahmen zur Umsetzung von Industrie 4.0 vorbereiten und die bisher unzureichende gesellschaftspolitische Aufklärungsarbeit zu den Chancen und Risiken leisten.

Im ökonomischen Feld

  • Aufbereitung der zur Verfügung stehenden Daten darüber, wer vom Wirtschaftskonzept profitiert und wer nicht, welche Berufsfelder gebraucht werden oder verschwinden.
  • Die geschlechtsspezifische Aufbereitung relevanter Arbeitsmarktdaten, um einschätzen zu können, wie viele Menschen durch die geänderten beruflichen Anforderungen durch die vierte industrielle Revolution betroffen sind.
  • Die ernst zu nehmende politische Diskussion zum bedingungslosen Grundeinkommen, um für zukünftige gravierende Veränderungen am Arbeitsmarkt gerüstet zu sein.

Im Bereich Bildung und Kultur

  • Kenntnis und Aufklärungsarbeit darüber, dass scheinbar neutralen Begriffen wie etwa Organisation 4.0 ein Geschlecht eingeschrieben ist, weil es – wie in diesem Falle – klassische Männerberufe adressiert und ihnen einen höheren Stellenwert einräumt.
  • Die Veränderung der symbolischen Ordnung: wie zum Beispiel das Globalstereotyp "Gemeinschaftsorientierung", das Frauen zugeschrieben wird und zu Ausschlussmechanismen in der Ausbildung und Ausübung von technischen Berufen führt. Dekonstruktion und die Veränderung der symbolischen Ordnung muss inhaltlich wie habituell Bestandteil der pädagogischen Praxen in den Ausbildungsinstitutionen – in der Vorschule gleichermaßen wie in der Lehre, der universitären und innerbetrieblichen Aus- und Weiterbildung – sein.
  • Eine neue Definition für Systems Engineering (Kombination aus unter anderem Ingenieurswesen und IT), die sicherstellt, dass sich Frauen von diesem Arbeitsfeld angesprochen fühlen und keine bekannten oder neuen Ausschlussmechanismen befürchten müssen.
  • Ausreichende Ressourcen für die flächendeckende Ausbildung im Ingenieurswesen, in Informatik und in der Informations- und Kommunikationstechnologie von Frauen. (Traude Kogoj, Anna Steiger, 24.1.2017)