Der Wiener Maler Friedrich von Amerling ging mit seinen einfigurigen Genrebildern ganz eigene Wege: "Das Taubenmädchen" (1840) durchbricht bei ihm die Spießigkeit der Zeit.

Foto: Dörr Wolfratshausen

Wien – Sie haben die Vorstellung des Biedermeier geprägt: die Gemälde von Ferdinand Georg Waldmüller und seine fröhlichen Kinder, die sich die Zeit vermeintlich spielend im Wienerwald vertrieben haben. Reisig zu sammeln war aber kein Spiel, sondern Arbeit, und jenen Haushalten vorbehalten, in denen man ansonsten fror.

"Ist das bieder oder vielleicht doch eher der jüngste Bridget-Jones-Film?", fragt die Kuratorin Sabine Grabner, die die hauseigene Biedermeiersammlung neu aufgestellt hat. Bereichert um Positionen aus den habsburgischen Kronländern, hat sie im Unteren Belvedere Porträts, Landschaften und Genredarstellungen versammelt, von denen einige erst nach der eigentlichen Biedermeierzeit (1815-1848) gemalt wurden.

Schließlich hätte das Revolutionsjahr 1848 in maltechnischer Hinsicht kaum eine Zäsur dargestellt, so die Expertin, die für die Einteilung 1830 bis 1860 noch ein anderes zwingendes Argument hat: So sind etwa einige der wichtigsten Werke von Waldmüller (wie Am Fronleichnamsmorgen, 1857 oder Vorfrühling im Wienerwald, 1861) erst nach 1848 entstanden, obwohl sie bis heute der Inbegriff der Biedermeiermalerei sind.

Eine bürgerliche Venus

Mit der vermeintlichen Spießigkeit der Malerei dieser Epoche will die Ausstellung aufräumen: Betritt man die Präsentation, sieht man sich auch sogleich der Rückenansicht einer nackten Frau gegenüber. Es ist ein Porträt der Tänzerin Carlotta Chabert des italienischen Malers Francesco Hayez. Zu einem Skandal führte das Gemälde 1830 jedoch weniger ihrer (ohnehin sehr züchtigen) Nacktheit wegen – das Problem war vielmehr, dass der Maler die Bürgerliche als Venus darstellte. Eine Figur, die bis dahin Frauen der höheren Gesellschaft vorbehalten war.

Dass sich das Bürgerliche dennoch überall seinen Weg auf die Leinwand bahnte, wird nicht zuletzt durch die Ausweitung auf die Kronländer deutlich: Industrielle, Schifffahrtsunternehmer, Kunstmäzene und Fabrikanten von Oberitalien über Slowenien, Ungarn bis Tschechien ließen sich, ihre Ehefrauen und Kinder im fotografischen Stil porträtieren – und zwar auf Sesseln und Kanapees, wie man sie etwa bei Friedrich von Amerling und zum Teil auch live in der Ausstellung sieht.

Grausamer Realismus

Die Gemälde des Wiener Malers gelten als außergewöhnlich, weil er mit seinen "einfigurigen Genredarstellungen" ganz eigene Wege ging. Seine Morgenländerin fällt aber etwa auch deswegen aus dem Rahmen, weil man auf den versammelten Bildern ansonsten in der Tat wenig "Fremdländisches" sieht.

Und das, obwohl der Austausch an den Akademien in Wien, Mailand oder Venedig unübersehbar sehr rege war: Eine vergleichbare stilistische Herangehensweise an das Porträt hat etwa bei dem slowenischen Maler Mihael Stroj, dem Triester Giuseppe Tominz oder dem Wiener Franz Eybl zu weniger schmeichelhaften als vielmehr fast grausam realistischen Ergebnissen geführt.

Das Biedermeierklischee weicht die Schau aber nicht wirklich auf: Dafür sind viel zu viele niedliche Kinder, kitschige Liebesszenen, Waldkapellenidyllen, wildromantische Landschaften, ja sogar hollywoodeske Ehekrisen (etwa Die Aussöhnung (1847) von Ernst Christian Moser) zu sehen. Besser also, man konzentriert sich auf jene Maler, die schon damals über die Auftragsarbeit und das rein Illustrative hinausgedacht haben: Friedrich von Amerling gehört zu ihnen dazu und auch der Maler Franz Steinfeld, der bei seinen Landschaften bereits ins Flächige, fast schon Abstrakte ging. Nicht ganz unerwarteterweise brechen zudem die lichttechnisch extrem raffiniert komponierten Gemälde von Waldmüller allzu eingefahrene Vorstellungen auf: Erschöpfte Kraft (1854) titelt etwa eines der Highlights der Schau, das anstelle von idyllischer Häuslichkeit eine neben ihrem Säugling in Ohnmacht gefallene Mutter zeigt. (Christa Benzer, 19.11.2016)