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Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vučić soll beseitigt werden. Angeblich.

Foto: AP Photo/Darko Vojinovic

Man hat das Gefühl, man befinde sich inmitten eines Romans von John le Carré. Spione, Mörder, Attentäter kreuzen auf, Staatsstreiche werden in letzter Sekunde abgewendet, man wird aufgeklärt, dass finstere Mächte ihr Unwesen in den kleinen Balkanländern treiben, sie destabilisieren wollen. Medien berichten, dass der russische Geheimdienst den starken Mann Montenegros, Milo Djukanović, die CIA den vom Volk geliebten serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vučić beseitigen wollten. Oder seinen Bruder Andrej Vučić. Das ist noch offen. Regierungsvertreter zeigen sich äußerst besorgt.

Die Komplotte wurden Gott sei Dank rechtzeitig aufgedeckt. Der ehemalige Kommandant der serbischen Gendarmerie und einige seiner montenegrinischen Komplizen wurden in Montenegro wegen Terrorverdachts verhaftet; ihre russischen Auftraggeber und Kontaktmänner sollen aus Serbien im Stillen nach Russland überwiesen worden sein; Podgorica bedankte sich bei Belgrad und serbischen Sicherheitsdiensten, die Montenegros Staatsführung vorgewarnt haben; in Serbien wurde noch niemand wegen des versuchten Attentats auf Vučić und/oder seine Familie festgenommen; die Affäre eines hohen Funktionärs der serbischen Kriminalpolizei, der für die CIA arbeitet, wurde nicht aufgeklärt; da war auch noch ein kroatischer Spion, den man in Serbien gefasst hat. Nur noch George Smiley fehlt, einer der Helden Le Carrés.

Die Handlung spielt sich in zwei Länden ab, die Beitrittsverhandlungen mit der EU führen: Montenegro und Serbien. Montenegro ist praktisch Nato-Mitglied, hat sich den Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland angeschlossen, was Moskau verärgert hatte. Serbien möchte EU-Mitglied werden, keinesfalls jedoch der Nato, und hegt betont freundschaftliche Beziehungen zu Russland, was in Washington und Brüssel nicht wohlwollend betrachtet wird. Das "geplante Blutvergießen" in Montenegro ist "aufgeklärt" worden, die "geplanten Attentate" in Serbien haben noch keinen Epilog gefunden.

Die Mordwaffen

Die serbische regierungsnahe Boulevardzeitung "Informer" berichtete neulich, dass in einem Belgrader Vorort in der Nähe des Elternhauses von Ministerpräsident Aleksandar Vučić eine Panzerfaust, Handgranaten, ein Scharfschützengewehr und Munition entdeckt worden seien. Der Ort, an dem die Waffen aufbewahrt wurden, sei ideal für ein Attentat, erklärte darauf Innenminister Nebojša Stefanović und beteuerte, dass der Premier und seine Familie in Sicherheit gebracht worden seien.

Als ob gerade ein Staatsstreich abgewendet worden sei, meldeten sich gleich auch andere Minister besorgt zu Wort. Außenminister Ivica Dačić spielte darauf an, dass sich Vučić den Interessen des Westens nicht beugen wolle und wegen seiner unabhängigen Politik als störend empfunden werde. "Die Geschichte hat leider gezeigt, dass ausländische Bösewichte stets eine serbische Hand finden, die für sie die schmutzige Arbeit erledigt", sagte er. Ein anderer Regierungsvertreter meinte, dass es weder das erste noch das letzte Mal sein werde, dass jemand ein Attentat auf Vučić und dessen Familie plane.

Bruder angeblich auch im Visier

Als mögliches Ziel des vermeintlichen Attentats wurde auch der Bruder des Ministerpräsidenten, Andrej Vučić, genannt. Der Innenminister bezeichnete ihn als den "einzigen wunden Punkt des Premiers", weil Aleksandar Vučić ihn "sehr liebe".

Während regimenahe Medien die "Bruderliebe" als mögliches Motiv für ein Attentat auf Andrej Vučić in den Vordergrund stellten, um dem Regierungschef zu schaden, bezeichneten Regimekritiker den Bruder des Premiers als einen zwielichtigen Geschäftsmann. Dieser habe sich selbst Feinde gemacht, sei in düstere, kriminelle Geschäfte verwickelt und werde dabei vom Staat gedeckt.

Die CIA-Mörder

Danach wieder eine Medienbombe – diesmal titelte "Informer": "CIA sogar bereit, in Serbien zu morden! Putins Sicherheitsleute warnten serbische Kollegen vor gefährlichen Plänen Amerikas in Serbien". Andere Medien schlossen sich an.

Es gebe zwei Szenarien, um ein totales Chaos herbeizuführen, schreibt die Zeitung: Vučićs Mitarbeiter und Verwandte umzubringen und das dann als eine Auseinandersetzung unter Kriminellen darzustellen; oder Vučićs lautstärkste Gegner zu töten und dann dafür die Machthaber verantwortlich zu machen. Auf den Artikel gab es weder eine Reaktion der Regierung noch eine Distanzierung im "Informer", dessen Eigentümer Aleksandar Vučić als einen "ehrenhaften Mann" bezeichnete. Die meisten Medien schlossen sich den Verschwörungstheorien an.

Ernsthafter als gedacht

Danach soll angeblich in Bosnien eine Spur zu den in Belgrad entdeckten Waffen aufgetaucht sein. Vučić meldete sich persönlich zu Wort: Die Sache sei ernsthafter, als man zunächst dachte, sagte er zu den angeblichen Attentatsplänen. Mehr nicht.

Die Geheimniskrämerei der Regierung lässt viel Raum für Spekulationen. In den wenigen serbischen regimekritischen Medien gibt es mehrere Erklärungen für die Mordgeschichten. Die eine lautet, dass womöglich Vučić nahestehende Leute und sein Bruder in kriminelle Geschäfte verwickelt seien und man der sich abzeichnenden Mafiaabrechnung ein politisches Alibi verschaffen wolle.

Die Erzeugung von Chaos

Man könnte die Geschichte im "Informer" aber auch als Drohung in Richtung der Regimekritiker deuten. Sollte einem von ihnen etwas passieren, könnte man die CIA dafür verantwortlich machen. Oder: Der Druck auf Vučić wird erhöht, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen. Denn eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Prishtina ist eine Bedingung für den Fortschritt der EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien. Das Regime könnte versucht sein, mit wilden Geschichten gegenzusteuern und abzulenken.

Eine vierte Erklärung lautet, dass Vučićs Machtsystem auf einer permanenten Erzeugung von Ausnahmezuständen gründet, wobei er sich als einziger Retter und Erlöser Serbiens präsentieren kann. Das regimekritische Wochenmagazin "Vreme" schreibt, dass alle diese Spionage- und Attentatsaffären ein Wort verbindet: "angeblich". Djukanović hätte dank des angeblichen Attentats knapp die Parlamentswahlen am 16. Oktober gewonnen, Vučić sichert sich mit der angeblichen Gefahr für sein Leben die Unterstützung des Volkes.

"Gute Russen"

Wenn Verschwörungstheorien jedoch einen antiamerikanischen Beigeschmack bekommen, hört der innenpolitische serbische Spaß für die EU auf. Trotz der Beitrittsverhandlungen ist Serbien immer noch zwischen seiner Liebe zu Russland und einer pragmatischen Zusammenarbeit mit dem Westen hin und her gerissen. Im "Informer" war zu lesen, wie "gute Russen" die "bösen Mörder der CIA" daran gehindert hätten, ein Attentat auf den einen oder anderen der Gebrüder Vučić zu verüben. Das gleiche Prinzip gilt auch für Montenegro, nur sind die Rollen anders verteilt.

Ein serbischer Schriftsteller sagte, die Romane von Le Carré seien wenn nicht interessanter, so doch jedenfalls überzeugender als die jüngsten serbisch/montenegrischen Thriller. (Andrej Ivanji aus Belgrad, 21.11.2016)