München – Alle Jahre wieder bricht nach der Kür des deutschen "Jugendworts des Jahres" die Diskussion los, ob es Teenager gibt, die wirklich so reden. Am Freitag war es wieder soweit: "Fly sein", auf das heuer die Wahl fiel, kommt aus dem US-Englischen und dort aus der Hip-Hop-Sprache und soll soviel bedeuten wie jemand oder etwas "geht besonders ab".

"Das sagt mir gar nichts"

Leere Gesichter bei den Menschen, die in einem Hotel am Münchner Hauptbahnhof auf die Verkündung des Langenscheidt-Verlags gewartet hatten und den Begriff nun wohl zum ersten Mal in ihrem Leben hörten. Damit sind sie nicht allein: "Ich hab zuerst gedacht: Das sagt mir gar nichts", meinte Lutz Kuntzsch von der Gesellschaft für deutsche Sprache in Mannheim. "Ich hätte mir gewünscht, weil das ein Markenzeichen der Jugend ist, dass irgendetwas Ironisches, Flapsiges oder mit Computertechnik kommt. Aber das war nicht so und jetzt ist es halt ein Lebensgefühl – warum nicht."

Nun gehört Kuntzsch, Vater eines Sohnes Mitte 20, auch nicht mehr zur Zielgruppe, wie er selbst einräumt – ebenso wenig wie "Jugendwort"-Jurymitglied Isabelle Deckert von der ProSieben-Sendung "Taff", die für "Fly sein" gestimmt hat, obwohl ihr der Begriff erstmal nichts sagte.

Der 19 Jahre alte Maximilian Knab aus Amberg, der als ehemaliger Chefredakteur einer preisgekrönten Schülerzeitung in der Jury sitzt, muss zugegeben: Gehört hat er den Begriff schon mal, benutzt noch nie. Seinem Freund Julian Prechtl (18) geht es genauso.

"Ziemlich unwissenschaftlich"

"Wir haben das Wort gar nicht entdeckt", sagt der Sprachwissenschafter Nils Uwe Bahlo von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er hat nichts mit der Wahl zum "Jugendwort des Jahres" zu tun, befasst sich aber seit Jahren mit dem Phänomen Jugendsprache und dokumentiert anhand von authentischen Gesprächen, wie Jugendliche sprechen.

Der Begriff "Fly sein" passe aber durchaus zur Jugendkultur: "Emotionsbekundende Floskeln passen auf jeden Fall." Die Wahl biete zwar immer wieder die Möglichkeit, über Sprache zu reden, sie sei aber "ziemlich unwissenschaftlich": "Wenn überhaupt, wird nur Sprachwissen abgefragt und nicht Sprachgebrauch."

"Es ist ein Phänomen des Jahres 2016", betont die Sprachwissenschafterin Susanne Schräder, ebenfalls Jury-Mitglied. "Fly sein" sei gerade erst auf dem Sprung in den Sprachgebrauch von Jugendlichen. "Wir sehen eine Zukunft für das Wort."

Was noch zur Wahl gestanden hätte

Die Alternativen zu "Fly sein" erschienen der Jury weniger brauchbar. Der Begriff "isso" (Zustimmung oder Unterstreichung von etwas), mit 20 Prozent in einer Online-Abstimmung vor der Wahl vorne, schien zu unkreativ (Deckert: "Den benutzt auch mein Papa"), "Hopfensmoothie" (Bier) könnte Alkohol verherrlichen und "Tindergarten" (für eine Sammlung von Online-Kontakten) die Promiskuität. "Vollpfostenantenne" als Bezeichnung für einen Selfiestick fiel bei der Jury durch, "weil heute keiner mehr Vollpfosten sagt", meint Knab.

"Fly sein" stellt sich in eine Reihe von Begriffen, die in schöner Regelmäßigkeit Zweifel daran säen, ob diese "Jugendwort"-Wahl irgendeinen Realitätsbezug aufweisen kann. "Smombie", die Bezeichnung für einen Smartphone-Zombie, der von seiner Umwelt nichts mehr mitbekommt, im vergangenen Jahr kannten noch nicht einmal die YouTube-Stars "Die Lochis". Eine Ausnahme: "Läuft bei Dir", das "Jugendwort" 2014, war nach allgemeiner Einschätzung tatsächlich Teil der herrschenden Jugendkultur. (APA, red, 18. 11. 2016)