José Carreira: Weitere Abkommen müssen folgen.

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Schon im März gab es im Hotspot Moria auf der griechischen Insel Lesbos Proteste: Pakistanis wehrten sich gegen Rücktransporte von Landsleuten in die Türkei. Die Spannungen in den Ägäis-Lagern haben inzwischen stark zugenommen.

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Athen/Wien – Jüngste Berichte aus den sogenannten Hotspots auf den griechischen Inseln, in denen aus der Türkei über das Meer gekommene Flüchtlinge abwarten müssen, wie die griechischen Asylbehörden in ihren Fällen entscheiden, zeugen von großen Problemen.

Vergangenen Freitag etwa wurde gemeldet, dass es im Flüchtlingslager Souda auf der Insel Chios zwei Nächte hintereinander gebrannt hatte. Zuerst, Donnerstagnacht, hätten Lagerinsassen Feuer gelegt, dann, Freitagnacht, hätten aufgebrachte Inselbewohner Brandsätze auf die Zelte geworfen; laut griechischen Medienberichten waren an diesen Angriffen auch Rechtsextreme beteiligt.

Massenflucht auf Lesbos

Zwei Monate davor, am 19. September, war es auf der Insel Lesbos zu einer Massenflucht aus dem Flüchtlingslager Moria gekommen, nachdem Lagerinsassen die Container des EU-Unterstützungsbüros für Asylfragen Easo in Brand gesetzt hatten. Das Feuer verbreitete sich im gesamten Lager. Easo zog seine Mitarbeiter vorübergehend ab.

In den Tagen darauf habe er die griechische Regierung um mehr Eingreifpolizei auf Lesbos ersucht, schildert Easo-Geschäftsführer José Carreira im Interview mit dem Standard. Der Anfrage wurde Folge geleistet.Seitdem, so Carreira, würde Eingreifpolizei sowohl um als auch im Hotspot selbst patrouillieren.

Um einer "höchst explosiven Lage" Herr zu werden, die sich aus vielen Monaten Wartezeiten für die in den Camps internierten, also in ihrer Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkten Insassen und deren enttäuschten Erwartungen zusammensetze."

Wunsch weiterzureisen

Die aus der Türkei Ankommenden wollten ursprünglich alle nach Deutschland, Schweden oder in andere westeuropäische EU-Staaten weiterreisen", schildert Carreira. Statt dessen seien sie mit der Perspektive konfrontiert, auf Grundlage des EU-Türkei-Abkommens wieder in das Land zurückgeschickt zu werden, das sie mittels Booten verlassen haben.

Die griechischen Behörden würden "trotz großer Verbesserungen immer noch langsam arbeiten", sagt der Easo-Chef. Allein bis zum Verfahrensbeginn dauere es oft viele Monate. Da die in den Hotspots arbeitenden, aus der ganzen EU stammenden Easo Asylexperten nur unterstützend tätig sind, hätten sie auf diese Abläufe keinen Einfluss.

Schwerfällig und langsam

Vielmehr führt Easo zum Beispiel Asylbefragungen durch. Danach jedoch, so Carreira, dauere es wieder monatelang bis zu einer Entscheidung erster Instanz. Und im Fall einer Berufung vielleicht nochmals so lange. Zwar schafften es infolge des Abkommens mit der Türkei derzeit nur relativ wenige Menschen auf die Inseln. Doch mangels Aufnahmekapazitäten am griechischen Festland stauen sie sich dort; im ursprünglich für 1500 Personen angelegten Camp Moria auf Lesbos leben derzeit über 3000 Menschen. Insgesamt wird die Zahl in Griechenland befindlicher Flüchtlinge, für die es kein Weiterreisen gibt, auf 60.000 geschätzt.

Easo-Geschäftsführer Carreira will dennoch nicht von einem Scheitern der EU-Bemühungen angesichts der massiven Fluchtbewegungen sprechen. Vielmehr habe sich die Flüchtlingspolitik der Union damals umorientieren müssen: "Davor waren die Staaten im Rahmen des Stockholm-Prozesses auf reguläre Fluchtbewegungen eingestellt".

Teil-Kontrolle über Außengrenzen

Im Oktober und Dezember 2015 unterzeichnete Easo Hotspot-Betriebspläne mit Italien und Griechenland. Jetzt gibt es vier Hotspots in Italien und fünf in Griechenland. Darüber hinaus hat Easo mobile Teams eingerichtet, die im Krisenfall einsetzbar sind. Mit dem Türkei-Abkommen habe man zumindest Kontrolle über einen Teil der EU-Außengrenzen bekommen. Weitere Abkommen mit dem Libanon, Tunesien, Pakistan, mehreren afrikanischen Staaten "sowie mit Libyen" könnten folgen. Im Schatten massiver Kritik konnten auch "eine erhebliche Anzahl der vor einiger Zeit anvisierten Resettlements aus der Türkei in Eu-Staaten durchgeführt werden".

Mit mehr Kompetenzen, so Carreira, könnte Easo Änderungen der EU-Flüchtlingspolitik vorantreiben. Was den Zeithorizont für ein ausgeweitetes Mandat angeht, gibt er sich trotz 600 Änderungsvorschlägen optimistisch: "Die Easo-Reform im ersten Viertel 2017 beschlossen wird."(Irene Brickner, 22.11.2016)