Aus der Rezeption des Grätzlhotels wurde eine archetypische Trattoria Triestiner Prägung.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Branzino in Padella, im Ganzen geschmorter Wolfsbarsch, filetiert und in gabelfreundliche Happen zerteilt: wahnwitzig gut.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Veronika Ivancich stammt aus Opicina, hoch über Triest, geboren aber ist sie in Wien. Peter Ivancich stammt aus Santa Croce, dem Fischerdorf im Karst, wo seine Familie mit der legendären Osteria Verena (firmiert seit der Verpachtung im Jahr 2003 unter Pettirosso) seit Generationen ein Fuhrwerkerwirtshaus betrieben hat. Die Hochzeitsreise hat die beiden vor vielen Jahren nach Wien geführt, seither ist ein Restaurant in der "alten Hauptstadt" auf der Liste noch zu erfüllender Träume stets weit oben gestanden.

Das hat jetzt geklappt, zu unserem Glück. Im September haben die beiden die ehemalige Rezeption des Grätzlhotels, ums Eck vom Karmelitermarkt, übernommen und zur Trattoria Triestina umgestaltet. Die Küche des einst wichtigsten Hafens der Habsburgermonarchie gilt Kennern als eine der spannendsten von ganz Italien, nicht zuletzt, weil die Hafenstadt in besonderer Weise als Schmelztiegel des Vielvölkerreichs funktionierte und die Lage am Schnittpunkt der drei großen Kulturen Europas – der romanischen, slawischen und germanischen – seit jeher Offenheit für neue Einflüsse bedingte. Im Gegensatz zur manchmal oft borniert wirkenden Traditionsversessenheit vieler anderer Regionen war die friulanische Küche neben der Pflege ihrer ewigen Klassiker stets auch der Weiterentwicklung und Bereicherung von außen verpflichtet.

Vielgestaltige Köstlichkeiten

Dem kann man in Peter Ivancichs Küche nachschmecken. Ein klein wenig Geduld sollte man halt mitbringen, der Bär von einem Mann steht einstweilen nämlich ganz allein in der Küche, husch, husch geht hier gar nichts. Ohne Reservierung auch nicht: Die Nachbarn haben schnell bemerkt, dass hier in aller Schlichtheit geradezu ergreifend gut gekocht wird.

Wer sich aber einen Abend Zeit nimmt, darf sich auf große Geschmackserlebnisse freuen. Dafür empfiehlt es sich, gleich bei der Reservierung das "menu degustazione" zu ordern. Um 30 bis 40 Euro werden einem dann vielgestaltige Köstlichkeiten aufgetragen, die von einer weltgewandten, entspannten Stadt erzählen, welche unsere Kultur mindestens so geprägt hat wie Wien die ihre – mit dem Unterschied, dass wir nur sehr wenig von deren Traditionen in unsere Küche integriert haben.

Süße Rohheit

Fette, rohe Wildgarnelen zum Beispiel, die in der heimatlichen Osteria natürlich Mazzancolle aus dem Golf von Triest gewesen wären, in Wien aber tiefgefroren aus Argentinien angeliefert werden. Ivancich schält und serviert die fleischigen, extrem süßen und zarten Dinger in einer leichten Salsa aus Zitronensaft, Pfeffer und Olivenöl, dass es einen schaudert vor Glück.

Oder einen Teller mit Karstkäse und Sardellen – konzentrierte, salzige Umami-Power. Dann Branzino in Padella, im Ganzen geschmorter Wolfsbarsch, filetiert und in gabelfreundliche Happen zerteilt, in nichts als dem Schmorsud aus Butter, Weißwein, Olivenöl (siehe Bild): wahnwitzig gut. Und dann die Jota, die klassische Suppe vom Karst aus Sauerkraut, Bohnen und Erdäpfeln, mit einem Stückerl massiv aromatischer Salsiccia vom Karst: ein dickes, belebend saures Kompendium von gewaltiger Kraft und Köstlichkeit, weckt mutmaßlich Tote auf.

Dann erst die Pasta, abermals mit Wildgarnelen, in fruchtiger Paradeissauce geschmort. Danach kann man kaum noch papp sagen, weshalb der Secondo gnadenhalber als Kleinportion aufgetragen wird. Entpuppt sich freilich als Fehler: Die Cevapcici mit Gorgonzolacreme und Radicchio sind nicht nur ein Paradebeispiel für kreative Triestiner Schmelztiegelküche – so wie sie schmecken, hätte man sich den Gürtel gern noch einmal weitergeschnallt. (Severin Corti, RONDO, 25.11.2016)