Der Autor dieser Geschichte hatte einmal ein wahrlich ungewöhnliches Erlebnis mit einem Allradauto, und zwar mit einem ganz besonderen. Es war ein Audi TT von einem deutschen Tuner, der zur Ertüchtigung des kompakten Sportwagens hinten einen zweiten Antriebssatz eingebaut hatte, also Motor samt Getriebe und Vorderachse hinten noch einmal (siehe auch hier). Nur lenken konnte man Gott sei Dank hinten nicht. Die Leistung stieg aufgrund der Verdoppelung auf 800 PS und das Drehmoment ebenso. So begab es sich auf der Autobahn, dass hinter mir ein Motorradfahrer auf das Überholen lauerte, während vor mir ein Lkw die Spur blockierte. Als dieser die Überholspur freigab, glaubte der Motorradfahrer, auch mich gleich verbrennen zu können, aber ich stieg auf den Pinsel, während der Motorradfahrer vergeblich am Gasgriff drehte, während er mich auch schon aus den Augen verlor. Diese Situation mag von einer gehörigen Portion Unvernunft getragen sein, beschreibt aber dennoch recht hübsch, worin Allradantrieb gipfeln kann, in höchst emotional aufgeladener Zwecklosigkeit.
Allradantrieb gibt es praktisch, seit es Autos gibt. Einer der großen Pioniere war Ferdinand Porsche, der mit unterschiedlichen Varianten von ein- und mehrachsig betriebenen Benzin- und Elektrofahrzeugen damit auch noch das Thema Hybridantrieb vorwegnahm.
Schlechte Wege oder Sportlichkeit
In der jüngeren Geschichte hatte Allradantrieb meist auch eine gehörige militärische Komponente, ging es doch ursprünglich darum, auch abseits der Straße möglichst lange Traktion zu bewahren. In den frühen 1980er-Jahren war es dann so weit, dass Pkw-Hersteller das Thema Allrad sozusagen als Alleinstellungsmerkmal für sich zu nutzen begannen. Audi in Sachen Sportlichkeit und Fahrdynamik und Subaru, wo man mit guten Schlechtwege-Eigenschaften die letzten Bergbauern aus ihren VW Käfern lockte.
Auch der Beginn der SUV-Welle vor 15 Jahren stand noch ganz unter dem Thema Allradantrieb, schließlich knüpfte man das erhabene Fahrgefühl auch unmittelbar an die Möglichkeit, derbes Gelände zu erklimmen, wenn auch damals schon meistens nur im Kopf. Auch ein Reduktionsgetriebe für langsame Geländefahrten galt lange Zeit als obligatorisch und wurde zumindest als Aufpreis-Extra fast immer angeboten. Als Erster traute sich BMW beim X5, die Geländeuntersetzung gleich wegzulassen. Während die Japaner schon lange auch reine Frontantriebsvarianten ihrer SUVs anboten, sickerten diese erst allmählich in unsere Märkte ein. Mittlerweile gibt es manche SUVs überhaupt nur mit Frontantrieb, und die Vielzahl an technischen Detaillösungen ist schier unüberschaubar geworden.
Würdiger Ersatz
So waren eine oder sogar mehrere Differenzialsperren anfangs ein zentrales Kriterium, ob ein Allradfahrzeug überhaupt als solches ernst genommen wurde. Heute lässt sich die Wirkung des Bremseingriffs der Fahrdynamikregelung so fein steuern, dass sie in vielen Fällen einen würdigen Ersatz für Differenzialsperren darstellt. Ja, manche Hersteller gehen sogar davon aus, sich damit überhaupt den Allradantrieb ersparen zu können, und tatsächlich erzielen sie auf elektronische Weise hervorragende Traktionswerte auch auf einer Achse allein (siehe auch hier).
Neuen Schub bekommt das Thema Allradantrieb nun durch die Hybridtechnik. Da es selbst auf schwierigem Untergrund meist nur kurzfristig eines Allradantriebs bedarf, ist die Idee naheliegend, die hintere Achse elektrisch anzutreiben, während die vordere von einem Verbrennungsmotor bedient wird. Das hat für den Hersteller mehrere Vorteile: Er kann das ganze Elektroantriebsmodul, also die ganze Hinterachse samt Elektromotor bei einem Zulieferbetrieb kaufen und muss es, vereinfacht gesagt, nur mehr an die Motorelektronik und die Batterie anstecken.
Zwei Motoren, zwei Achsen
Als Erster nützte Peugeot diese Möglichkeit schon 2011 und kombinierte einen Dieselmotor vorn mit einem Elektromotor hinten, auch BMW und Volvo machen von dieser Architektur Gebrauch, Letztere sogar bei Plug-in-Hybriden – BMW in Kombination mit Benzin-, Volvo auch mit Dieselmotor. Da Allradantrieb in diesem Zusammenhang ohnehin vorwiegend als Anfahrhilfe gedacht ist, reicht auch dann die Leistung vollkommen aus, wenn der E-Motor nicht übermäßig stark ist. Manche Hersteller treiben es noch bunter, indem sie Benzin- und Elektroantrieb im Vorderradantrieb integrieren und noch zusätzlich einen Elektromotor an der Hinterachse platzieren, wie etwa Mitsubishi beim Outlander.
Selbst wenn es kaum mehr wo erlaubt ist, den Asphalt zu verlassen und die Straßen bis zum hintersten Skilift stets perfekt geräumt sind: Allradantrieb ist wie eine Versicherung. Manche sind doch ganz froh, wenn sie ihn haben, aber gar nicht brauchen. Noch nie hat man Allrad also so selten benötigt, gleichzeitig waren noch nie so viele unterschiedliche Systeme auf dem Markt. Und der Mehrverbrauch hält sich heute in Grenzen, Allrad wird's also noch länger geben. (Rudolf Skarics, 4.12.2016)