Der Bundeskanzler bat um Milde. In den sechs Monaten, in denen er nun im Amt sei, könne die Regierung unmöglich "alles umbauen, alles neu machen" , sagte Christian Kern Dienstagfrüh vor versammelter Medienschar: Doch die "Akzente" würden kommen – "da darf ich Sie noch um ein bisschen Geduld bitten".

Man ist geneigt, Kern den guten Glauben abzunehmen: Die Worte des von einer zermürbenden Verhandlungsnacht erschöpften Regierungschefs klangen authentisch und so gar nicht nach den ihm nachgesagten Gelüsten, den Absprung aus der Koalition zu wagen. Womöglich ist bei Kern aber auch die Erkenntnis gereift, dass er momentan gar nicht anders kann: Die SPÖ ist schlicht nicht in der Verfassung, in Neuwahlen zu stürmen.

Abgesehen von der alles überlagernden Ausländerdebatte, die der FPÖ in die Hände spielt, ist das größte Handicap hausgemacht. Kein SPÖ-Chef kann eine Wahl gewinnen, ohne dass sich die Wiener Landespartei ins Zeug legt. Doch die ist in einem armseligen Zustand: Flügelkämpfe und die ungelöste Nachfolgefrage an der Spitze lähmen die Genossen aus der Hauptstadt. Bürgermeister Michael Häupl, einst wortgewaltiger Player, ist in der Bundespolitik abgemeldet, für Schlagzeilen sorgen nur die Querelen.

Kampagnenfähig ist eine Partei in solch einer Verfassung nicht: Bei baldigen Neuwahlen droht Kern in der vermeintlichen Hochburg zu scheitern. (Gerald John, 22.11.2016)