Diese Aufnahme stammt aus dem Album von Karl Höcker, Adjutant des letzten Lagerkommandanten von Auschwitz, Richard Baer. Darauf zu sehen sind SS-Personal und Besucher.

Foto: Busch / Hördler / Jan van Pelt (Hg.): Das Höcker-Album. Auschwitz durch die Linse der SS, Darmstadt 2016

Im Juni 1945 betrachteten Besucher einer Ausstellung in Washington Fotos von Überlebenden des Vernichtungslagers Buchenwald.

Foto: Martin Luther King Memorial Library

Graz – Welche Bilder entstehen im Kopf, wenn man an Konzentrationslager denkt? Meist sind es Leichenberge und bis zum Skelett abgemagerte Häftlinge hinter Stacheldrahtzäunen. Diese im allgemeinen Bewusstsein verankerten Bilder gehen vor allem auf Fotografien zurück, die von "embedded photographers" der Alliierten kurz nach der Befreiung der Lager aufgenommen wurden.

Die Fotos sollten die Verbrechen des NS-Regimes dokumentieren, um Beweise für Anklagen zu sichern. Zudem wollte man über sie auch möglichst viele Menschen mit der Wahrheit über Hitlerdeutschland konfrontieren: So wurden etliche dieser Bilder in den großen amerikanischen Magazinen wie Life oder Vogue veröffentlicht, in Deutschland und Österreich haben sie die Alliierten zur Reeducation im Rahmen der Entnazifizierung eingesetzt.

"Die Geschichte der Lager-Fotografie begann allerdings nicht erst mit der Befreiung, diese kennzeichnet nur ihre letzte Etappe", sagt die Berliner Kunsthistorikerin Hildegard Frübis, die zurzeit auf einer Lise-Meitner-Stelle des Wissenschaftsfonds FWF am Centrum für Jüdische Studien der Uni Graz zum Thema "Bildpraxis der deutsch-jüdischen Moderne" forscht. "Bereits während der NS-Zeit wurden unzählige Fotos hinter den Lagermauern geschossen – wobei die Fotografen nicht nur aus den Reihen der Täter kamen."

Vernichtung von Dokumenten

Obwohl die Lagerverantwortlichen kurz vor der Befreiung die meisten Dokumente und Fotografien vernichteten, existieren heute noch tausende Bilder aus dem Inneren der Konzentrationslager. Wer waren die Fotografen, was wollten sie mit ihren Bildern, und unter welchen Bedingungen entstanden diese? Auf der kürzlich von Frübis an der Universität Graz organisierten internationalen Konferenz "Photographs from the Camps of the Nazi Regime" wurden neueste Erkenntnisse und Forschungsaktivitäten in diesem noch relativ wenig bearbeiteten Feld der Zeitgeschichte diskutiert.

Um das für alle Lager geltende Fotografierverbot haben sich die SS-Leute kaum gekümmert. So wurden zum Beispiel im Frühsommer 1944 in Auschwitz die Vorgänge rund um die "Abfertigung" ungarischer Juden von ihrer Ankunft bis zu den letzten Momenten auf dem Weg in die Gaskammern fotografisch festgehalten. Diese rund 200 Fotografien wurden zu einem Album zusammengestellt, das nach dem Krieg von Lili Jacob aufgefunden und unter dem Namen "Auschwitz-Album" bekannt wurde. "Ausgehend von den Bildmotiven und einem geplanten, aber nicht überlieferten Endbericht über die 'Ungarn-Aktion', geht die Forschung mittlerweile davon aus, dass man diese Fotos als eine Art 'Leistungsnachweis' für die Effizienz des Lagersystems betrachtete", sagt Frübis.

Aufnahmen aus Auschwitz

Ein weiteres "Auschwitz-Album", das erst 2007 von einem Veteranen der US-Army an das United States Holocaust Memorial Museum übergeben wurde, beinhaltet private Fotos des Obersturmführers Karl-Friedrich Höcker, des Adjutanten des letzten Lagerkommandanten von Auschwitz. Auf den 116 Aufnahmen sieht man das Lagerpersonal und Besucher beim Relaxen auf der Sola-Hütte, einem Erholungsheim für die KZ-Bediensteten 30 Kilometer südlich von Auschwitz. "Diese Bilder vermitteln einen Eindruck vom Bedürfnis der SS-Leute, sich als ganz gewöhnliche Männer bei ihren wohlverdienten Freizeitvergnügungen zu inszenieren", so der deutsche Historiker Stefan Hördler. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftern arbeitete er in den vergangenen Jahren an der Dechiffrierung dieser fotografischen Quellen der SS.

In seinem Beitrag berichtete er vor allem über die Identifizierung der personalen Netzwerke, die aufgrund der Fotografien möglich wurde. Erstaunlicherweise gelang es mitunter auch Insassen, Fotos in einem Lager aufzunehmen. So verwies die Politologin Andrea Genest auf fünf Aufnahmen, die eine polnische Gefangene 1944 in Ravensbrück machen konnte: Diese zeigen drei Frauen, die der Kamera ihre Operationswunden an den Beinen präsentieren – das Ergebnis brutaler medizinischer Experimente.

Bilder zum Sprechen bringen

Fotografien sagen fallweise zwar mehr als Worte, doch sie geben durchaus nicht all die in ihnen enthaltenen Informationen von allein preis: "Mittlerweile ist man sich bewusst, wie viel an Kontextualisierung erforderlich ist, um die Bilder tatsächlich zum Sprechen zu bringen", sagt Frübis.

Wie wichtig eine genaue Rekonstruktion der historischen Umstände und Intentionen für die Interpretation ist, lässt sich am Beispiel einer Reihe von Fotoalben aus dem Lodzer Ghetto nachvollziehen, die der polnische Nachwuchswissenschafter Pawel Michna auf der Konferenz vorstellte. Auf den in avantgardistisch gestalteten Alben zusammengestellten Fotografien sieht man neben anderen erfreulichen Motiven auch wohlgenährte, saubere Kinder in die Kamera lachen.

Was sagen uns diese künstlerisch sehr eindrucksvoll gestalteten Bilder vom Leben an einem Ort, den einer der führenden Chronisten dieses Ghettos als "Krepierwinkel Europas" bezeichnet hat? Man kann sie nur richtig lesen, wenn man die Umstände ihrer Entstehung kennt: "Der dortige Judenrat ließ zahlreiche Fotos zum Thema Gesundheit und Hygiene im Lager anfertigen, um gegenüber dem NS-Regime das perfekte Funktionieren der Selbstverwaltung zu demonstrieren", so Frübis. "Damit verband sich die Hoffnung, die Überlebenschancen des Ghettos zu sichern."

Um den Lagerfotografien so etwas wie "Wahrheit" zu entlocken, bedarf es also eines umfangreichen Vorwissens – über die einzelnen Lager selbst, die sich im Lauf der Zeit immer wieder ändernden Abläufe, über die Fotografen, ihre Motive und Intentionen etc. Kein Wunder also, dass die Fotografien aus den Konzentrationslagern eines der aufwendigsten Forschungsfelder in der Zeitgeschichte markieren, in dem noch immer viele Informationen auf ihre Decodierung warten. "Die Bilder verweisen oft auf Realitäten, die nicht aus den Textquellen hervorgehen", so Hildegard Frübis. "Aber man darf sie nicht naiv betrachten." Eine Mahnung, die man sich auch in Zeiten von Facebook, Instagram und Co gelegentlich in Erinnerung rufen könnte. (Doris Griesser, 25.11.2016)