Menschen, die selbst Nachwuchs haben, sind sensibler für Gewalt an Kindern und erkennen diese eher.

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Wien – 92 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher wünschen sich strengere Gesetze und härtere Strafen bei Gewalt an Kindern. Das zeigt eine am Dienstag präsentierte Befragung des Gallup-Instituts im Auftrag der Möwe-Kinderschutzzentren. In der Erhebung wurde aber auch deutlich, dass viele Menschen unsicher sind, wann Gewalt eigentlich beginnt: Erkennen 95 Prozent der Befragten "eine Tracht Prügel vom Vater" (so die Formulierung in der Befragung) klar als Gewalt, wird eine "leichte Ohrfeige" nur von 34 Prozent als Gewalthandlung gesehen.

"Das bedeutet, dass manche Formen von Gewalt wie eben die 'Watschen' trotz des mehr als 25-jährigen Gewaltverbots in der Erziehung noch immer verharmlost werden", folgert Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin und fachliche Leiterin der Möwe. Die Zahlen zeigen zwar, dass tätliche Formen der Gewalt wie Schläge, Ohrfeigen oder Ohrenziehen konstant rückläufig seien, dafür nehmen neue Spielarten wie Cybermobbing oder sogenanntes Happy Slapping zu. Dabei handelt es sich um einen körperlichen Angriff auf Unbekannte, Lehrer oder Mitschüler, der mitgefilmt und zwecks Erniedrigung im Netz verbreitet wird.

Häufig wird diese Form von Gewalt zwischen Heranwachsenden ausgetragen – und ist im Steigen begriffen. "Gewalt zwischen Kindern und Jugendlichen nimmt generell zu", sagt Wölfl.

Gewalt als "Erziehung"

Die aktuelle Umfrage zeigt aber auch, dass Menschen, die selbst Kinder haben, Gewalt eher erkennen. Wölfl: "Mut macht uns, dass Menschen, die mit Kindern in einem Haushalt leben, deutlich sensibilisierter sind und dass es in dieser Gruppe immerhin 42 Prozent sind, die auch eine leichte Ohrfeige als Gewalt einstufen."

Auch die Frage, von wem Gewalt gegenüber Kindern ausgeht, spielt eine Rolle bei deren Wahrnehmung: Bekommt das eigene Kind eine Ohrfeige vom Nachbarn oder vom Lehrer, sehen 88 Prozent der Befragten darin Gewalt. Ohrfeigt die Mutter ihr eigenes Kind, ist das nur für 79 Prozent ein Gewaltakt. Komme die Gewaltausübung aus der Familie selbst, wird sie eher als legitime Erziehungsmaßnahme angesehen, so Wölfl.

Anschweigen als Strafe

Besonders wenig Bewusstsein gibt es laut der Befragung für die Folgen psychischer Gewalt wie emotionaler Vernachlässigung. Diese Gewaltform nimmt die Mehrheit der Probanden gar nicht als Gewalt wahr – nur für 26 Prozent fällt es unter Gewalt, wenn Eltern länger nicht mit ihrem Kind sprechen, um es zu bestrafen. Und das, obwohl 59 Prozent der Befragten als Kinder selbst Opfer dieser Form von Gewalt wurden.

"Die negativen Auswirkungen von Kommunikationsverweigerung auf das Kind werden massiv unterschätzt", sagt Hedwig Wölfl. Dabei wirkt psychische Gewalt besonders nachhaltig und prägt Kinder nicht selten ein Leben lang. Nämlich dann, wenn sie zu Hause nicht erfahren, wie man Konflikte konstruktiv und gewaltfrei lösen kann, wie man über seine Gefühle und Emotionen spricht, wie man auf andere zugeht und verzeiht.

Keine Kultur der Konfliktlösung

"Wenn Kinder im Alltag nicht erfahren, dass das gegenseitige Zuhören und Erklären hilft, wird es später immer schwieriger, mit zwischenmenschlichen Schwierigkeiten respektvoll umgehen zu lernen", sagt Wölfl. Diese Kinder würden keine Kultur der Konfliktlösung lernen. Gewaltprävention bedeute in diesem Sinne auch, dass Kinder "Gefühle zulassen und benennen lernen".

In diese Richtung würden auch die sogenannten Frühen Hilfen wirken, die seit 2015 unter dem Namen "gutbegleitet – Frühe Hilfen Wien" in der Möwe umgesetzt werden. Dabei handelt es sich um eine aufsuchende Begleitung junger Familien von Anfang an, die psychisch und physisch gesundes Aufwachsen der Kinder fördern soll. (Lisa Mayr, 23.11.2016)