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Eine Mehrheit der Abgeordneten im EU-Parlament befürwortet das Einfrieren der Beitrittsgespräche mit der Türkei. Das Gebäude auf dem Bild schaut aus wie das EU-Parlament in Straßburg. Ist es aber nicht. Die beiden Flaggen wurde vor einem Hotel in Istanbul aufgenommen.

Foto: REUTERS/Murad Sezer/File Photo

Straßburg/Ankara – Angesichts des zunehmend autoritären Kurses des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat das EU-Parlament ein Zeichen gesetzt: In einer am Donnerstag verabschiedeten Resolution sprachen sich die Abgeordneten mit einer klaren Mehrheit für das vorläufige Einfrieren der Beitrittsgespräche mit der Türkei aus. Erdoğan selbst hatte schon im Vorfeld erklärt, der Abstimmung keinerlei Bedeutung beizumessen.

37 Gegenstimmen, 107 Enthaltungen

Für die Resolution stimmten 479 Abgeordnete, 37 waren dagegen, 107 enthielten sich. Hinter dem Text stehen alle Fraktion des Europaparlaments bis auf das rechtsgerichtete "Europa der Freiheit und der direkten Demokratie" der britischen Ukip von Nigel Farage und die rechtspopulistische Fraktion "Europa der Nationen und Freiheit", der auch die FPÖ angehört. Letztere fordert den kompletten Abbruch der Gespräche.

Die Türkei habe seit dem Putschversuch im Juli "unverhältnismäßige" Repressionen ergriffen, erklären die EU-Parlamentarier und verurteilen damit die Verhaftungswellen und Massensuspendierungen. Sie fordern deshalb ein Ende der Gespräche über offene "Verhandlungskapitel" sowie, "keine neuen zu öffnen". Für eine Wiederaufnahme der Gespräche müsste die Türkei den nach dem Putschversuch verhängten Ausnahmezustand aufheben und den Weg zurück zu Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte finden.

Dialog mit Türkei soll fortgesetzt werden

Die EU-Abgeordneten betonen zugleich, dass "die Türkei ein wichtiger Partner der EU" sei, wobei "der politische Wille zur Zusammenarbeit jedoch von beiden Seiten kommen muss". Derzeit zeige die Türkei diesen Willen nicht, da das Handeln der Regierung das Land weiter vom europäischen Weg abbringe. Dennoch begrüßt der Text "nach wie vor" einen Dialog zwischen der EU und der Türkei.

Außerdem weisen die Abgeordneten darauf hin, dass die Türkei noch sieben der 72 erforderlichen Kriterien für die Visabefreiung erfüllen müsse. Das spielt angesichts des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei eine besondere Rolle. Die Visabefreiung ist eine zentrale Bedingung der Türkei für das Abkommen.

Keine bindende Entscheidung

Die Haltung des EU-Parlaments ist für die Kommission und die Mitgliedsstaaten nicht bindend, aber ein starkes Signal: Es ist das erste Mal, dass sich eine EU-Institution für einen Stopp der EU-Annäherung der Türkei ausspricht.

Türkei: Entscheidung "null und nichtig"

Die türkische Regierung hat die Forderung des Europaparlaments scharf kritisiert und als bedeutungslos abgetan. "Im Grunde genommen halten wir diese Entscheidung für null und nichtig", sagte EU-Minister Ömer Celik am Donnerstag im südtürkischen Adana.

Die zuvor vom EU-Parlament verabschiedete Resolution sei rechtlich nicht verbindlich, fügte er hinzu. Sie sei zudem "eine kurzsichtige und visionslose politische Entscheidung". Celik riet den Europaabgeordneten, sich in Sachen Demokratie ein Beispiel an der Türkei zu nehmen.

Österreich für Stopp der Beitrittsverhandlungen

Unter den EU-Staaten fand sich zuletzt keine Mehrheit für ein Einfrieren der Gespräche. Sie erklärten, trotz der Festnahme von Journalisten und hochrangigen Kurdenpolitikern vorerst und an den Beitrittsverhandlungen festhalten zu wollen. Österreich hingegen fordert seit längerem einen Verhandlungsstopp.

Kurz begrüßt Türkei-Resolution

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat die Resolution des EU-Parlaments begrüßt. Er sei "froh über diese klare Entscheidung", erklärte er. "Diese Türkei hat keinen Platz in der Europäischen Union", sagte Kurz.

Tschechischer Außenminister skeptisch

Sein tschechischer Amtskollege Lubomir Zaoralek zeigte sich bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Wien dagegen kritisch und warnte davor, Ankara zu isolieren. Es sei klar, dass die Türkei derzeit durch eine schwere Zeit gehe, "aber es wäre trotzdem ein Fehler, wenn wir die Türkei verlieren", sagte der tschechische Außenminister. Er sei unzufrieden über die Entwicklung in der Türkei, wo Werte zerschlagen würden, auf denen die EU aufgebaut sei. Aber es gebe gute Gründe, warum Europa die Türkei brauche: Sie sei NATO-Partner und man arbeite in der Migrationskrise zusammen. "Ich wäre froh, wenn wir keine Schritte unternehmen, mit denen wir die Türkei verlieren", sagte Zaoralek. "Die Türkei zu isolieren, hilft weder der Türkei noch uns," kritisierte er.

Konsens herrscht in der EU über das weitere Vorgehen angesichts der Pläne Erdoğans zur Wiedereinführung der Todesstrafe: Wird sie eingeführt, hätte das ein Ende der Gespräche zur Folge.

Einstimmiger Beschluss der EU-Mitglieder nötig

Ein Abbruch der Beitrittsverhandlungen wäre nur mit einem einstimmigen Beschluss der EU-Mitgliedsstaaten möglich. Ebenso möglich ist eine Suspendierung, also ein Aussetzen oder Einfrieren der Verhandlungen für einen bestimmten Zeitraum. Darüber kann mit einer Mehrheit der EU-Staaten entschieden werden. Beide Schritte können ausschließlich auf Vorschlag der EU-Kommission geschehen. (APA, 24.11.2016)