Wien – Das Weltgetriebe hat wieder einmal den Rückwärtsgang eingelegt, die reaktionäre Rechte trompetet es lustvoll in die Ohren der Frustrierten. Was tun: beten? Peter Eötvös und Péter Esterházy jedenfalls haben zusammen ein Oratorium geschaffen mit dem Ziel, "ein Zeitbild zu erstellen".

Esterházy beschreibt in seinem Libretto das Wachsen der Zäune und das der Angst und lässt einen stotternden Propheten mahnen: "Die Fleischbrühe der Kultur ist ganz dünn geworden!" Doch der im Juli dieses Jahres verstorbene Dichter nimmt der Gegenwartsskepsis durch einen Mantel bunten Humors ihre spitzen Konturen: Neben dem Propheten ringen noch ein betrunkener Engel und ein jubelsüchtiger Chor, kommentiert von einem schwatzhaften Erzähler, um die Beantwortung kardinaler Menschheitsfragen.

Eötvös dirigierte sein bei den diesjährigen Salzburger Festspielen uraufgeführtes Oratorium Balbulum nun im Rahmen von Wien Modern im Wiener Konzerthaus: ein schillerndes, vielgesichtiges Werk, in dem sich der Komponist als wirkungsmächtiger, brillant instrumentierender Theatraliker erwies und die Zuhörer mit zirzensischen Zauberklängen aller Art unterhielt. Iris Vermillion gab den dauerbetrunkenen Engel mit süffigem, sattem Alt, Topi Lehtipuu blieb als Prophet blass, Peter Simonischek war ein routinierter Narrator. Die Wiener Philharmoniker gaben sich gekonnt gegenwartsnah, der Chor des Ungarischen Rundfunks absolvierte Eötvös' Halleluja-Parcours durch die Musikgeschichte bravourös.

Das geniale Adagio von Mahlers unvollendeter 10. Symphonie fand unter der großgestischen Leitung des 72-Jährigen nur selten über einen tastenden Probencharakter hinaus. Die beträchtlichen Schwierigkeiten von Arnold Schönbergs Friede auf Erden bewältigte die ungarische Singgemeinschaft respektabel sowie mit verhärmt klingenden Sopranen. Möge die Botschaft des Werks allerorten Anklang finden. (end, 24.11.2016)