Selma Prodanovic: "Es war noch nie so einfach, Unternehmen zu gründen, die auf unseren eigenen Werten basieren."

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STANDARD: Sie haben hunderten Start-up-Gründern auf die Beine geholfen. Wie viele waren Frauen?

Selma Prodanovic: Sehr wenige. Obwohl sich in den vergangenen ein, zwei Jahren sehr viel getan hat und es eine Reihe von Frauen gibt, die wunderbare Start-ups gegründet haben.

STANDARD: 85 Prozent der Gründer in Österreich sind Männer. Das ist wie ein Boys-Club.

Prodanovic: Die IT-Szene mit all ihren Silicon-Valley-Typen auf jeden Fall. Ein reiner Männerclub. Die Emanzipation ist hier zurückgegangen. Mark Zuckerberg und sein Wall-Street-Kapuzenpulli sind das große Vorbild, das zieht Männer an, 26 Jahre alt, weiß. Das ist nicht bösartig gemeint, aber Rolemodels sind extrem wichtig. Wir müssen noch viel dazu beitragen, dass junge Frauen auf die Idee kommen, Unternehmen zu gründen. Die meisten Eltern raten von Selbstständigkeit ab.

STANDARD: In Schweden sind zumindest ein gutes Drittel der Jungunternehmer Frauen. Warum sind die Skandinavier einen Schritt voraus?

Prodanovic: Wir sind in Österreich mit dem Genderthema in vielen Bereichen nicht vorangekommen. Da spielen viele Faktoren mit. Es ist wunderbar, dass Frauen drei Jahre lang daheim bei den Kindern bleiben können. Im Gegenzug wird dann aber auch von ihnen erwartet, dass sie es tun. Die Familie ist nach wie vor kein Familienthema. Sie ist ein Mutterthema. Das alles ist also kein Spezifikum der Start-up-Szene. Es sind Rollenbilder, die tief in unserer Gesellschaft verwurzelt sind.

STANDARD: Investoren sind fast ausschließlich Männer. Welche Rolle spielt das?

Prodanovic: Das hat Rieseneinfluss. Sind einmal erste Bilanzen, Umsätze da, ist es etwas anderes. Investments in einer sehr frühen Phase basieren aber auf Vertrauen und Bauchgefühl. Man vertraut auf das, was man versteht. Dahinter steckt keine Bösartigkeit – aber Männer tun sich leichter mit Gründern, mit denen sie bis in der Früh ohne Hintergedanken Bier trinken gehen können. Es gibt mittlerweile zum Glück mehr Männer, die bewusst in Frauen investieren. Dennoch: Um mehr Gründerinnen zu haben, braucht es weibliche Investoren. Viele Frauen unterstützen einander finanziell, sie sind Mentoren, tun es aber unterm Mantel des Helfens. Ich halte es wichtig für beide Seiten, dass daraus mehr offizielle Geschäftsbeziehungen entstehen.

STANDARD: Was halten Sie von verpflichtenden Frauenqoten in Aufsichtsräten?

Prodanovic: Das ist richtig, wichtig und notwendig, auch wenn es keine Lösung für die Ewigkeit ist. Es gibt mehr als genug qualifizierte Frauen, aber sie bekommen keine Chance. Die Quote ermöglicht diese Chance. Ob sie dann in der Position bleiben, hat mit Leistung zu tun. Es ist nicht nur ein Frauenthema: Unternehmen, die diverser aufgestellt sind, performen besser. Ich verstehe nicht, dass Firmen damit ein Problem haben.

STANDARD: Angst vor Selbstständigkeit haben Frauen ja nicht. Unter Freiberuflern ist ihr Anteil hoch.

Prodanovic: Frauen tun sich mit Ein-Personen-Unternehmen keinen Gefallen. Sie werden selbstständig, können sich davon ernähren, werden aber nie dazu inspiriert, größer zu denken. Ich halte die gesamte EPU-Kultur für problematisch, mit ihren Seminaren, die einen lehren, wie man Buchhaltung, Marketing, Websites selber macht. Aber so funktioniert das nicht. Alles selbst machen zu wollen ist Schwachsinn. Besser wäre es, aufzuzeigen, wie man einander unterstützt, wie man sich vernetzt, um größer zu werden und um das tun zu können, was man wirklich beherrscht.

STANDARD: Alle wollen nur noch Start-ups gründen, und sei es, dass sie ein Beisl ums Eck eröffnen. Wo ziehen Sie die Grenze?

Prodanovic: Gründe ich ein Kaffeehaus, ist das kein Start-up. Gründe ich eines mit dem Gedanken, dass es eine Art Starbucks werden soll, ist es eines. Dann, wenn ich von Anfang an darüber nachdenke, wie ich es global aufziehen kann.

STANDARD: Start-up-Gründer sind der neue Liebling der Politik und treten in Castingshows gegeneinander an. Was ist cool, was die nüchterne Realität?

Prodanovic: Die Szene redet gerne davon: I love what I do, and I do what I love. Das alles sei keine Arbeit. Was im Umkehrschluss aber bedeutet, dass der Job 24 Stunden am Tag sieben Tage die Woche präsent ist. Das passt perfekt, wenn man jung ist, ein Mann ist, keine Verpflichtungen hat. Offices von Google und Facebook etwa sind so gestaltet, dass das ganze Leben dort stattfinden kann. Unsere Generation wirft der früheren oft vor, sie habe nur für Geld, für ein Auto, für hohe Positionen gearbeitet. Heute tun wir es für Ruhm. Und um sagen zu können: Ich liebe, was ich tue.

STANDARD: Selbstverwirklichung für alle?

Prodanovic: Klar geht es um Selbstverwirklichung, darum, Sachen zu machen, die einem Spaß machen. Aber nicht alle leben das wirklich, viele sind nur Teil dieses Spiels. Es ist durchaus eine Scheinwelt, von der sich Frauen nicht angesprochen fühlen. Als Gründer mag ich meine Vision ausleben und mit engen Mitarbeitern teilen können. Aber die anderen 80, 200 Leute sind einfach Mitarbeiter eines Unternehmens. Nur dass es halt Start-up ist und cool, mit einem Wuzler im Büro überhaupt supercool. Die meisten Start-ups haben allerdings kein Geld. Ein Prozent vielleicht wird viel verdienen. Viele andere werden pleitegehen.

STANDARD: Diese Bilanz fällt hart aus.

Prodanovic: Ja. Andererseits haben wir die Möglichkeit, eigene Lebensmodelle zu entwickeln, Unternehmen so zu gestalten, wie es uns passt. Das ist eine der großen Chancen für Frauen. Es war noch nie so einfach, Unternehmen zu gründen, die auf unseren eigenen Werten basieren. (Verena Kainrath, Portfolio, 1.12.2016)