Szenen einer österreichischen Erstaufführung: Amir (Fabian Krüger) kann seiner Künstlergattin Emily (Katharina Lorenz) den Seitensprung mit dem Kunstkurator nicht wirklich nachsehen.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Amir Kapoor (Fabian Krüger) haust mit seiner Künstlergemahlin in einem todschicken Loft an der New Yorker Upper Eastside.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Wien – Der American way of life hat es gut gemeint mit Amir Kapoor (Fabian Krüger), dem angeblich aus Indien stammenden Wirtschaftsanwalt. Er haust mit seiner Künstlergemahlin in einem todschicken Loft an der New Yorker Upper Eastside: Eine weiße Plattform ragt ins Parkett, wenige weiße Polstermöbel und Regale markieren das äußerst geschmackssichere Plädoyer für das unumgänglich Notwendige beim Wohnen (Ausstattung: Stefan Hageneier). In "Geächtet", US-Autor Ayad Akhtars hochdekoriertem Drama, werden die mentalen Folgen von 9/11 wie mit dem Brennglas auf die Schicht der Besserverdiener zurückgespiegelt.

Amir ist im Wiener Burgtheater ein schmaler, abgehärmter, seines Wohllebens bemerkenswert überdrüssiger Advokat. Er lässt selbst dann nicht von seinem Smartphone, wenn ihn Emily (Katharina Lorenz) unter Aufbietung all ihrer Reize zum Quickie am Künstlertisch überredet.

Der heißeste Draht des Aufsteigers führt durchaus nicht ins Bett von Emily. Die ist zwar erfrischend burschikos und hat die Brille ihres Meisteroptikers vor Augen, wenn sie ihren Prachtkerl aus dem Mittleren Osten als Velazquez-Sklaven abzeichnet. Amirs Existenz hängt vom Wohlwollen seiner jüdischen Kanzleiinhaber ab. Und so erzählt Ayads so wundersam beredtes Immigrationsdrama vor allem vom vollständigen Versagen der Verständigung.

Panik-Pakistani

Amir sitzt unentwegt auf Nadeln. Er wartet auf den Rückruf seiner Vorgesetzten wie auf einen Gottesbeweis. Wann endlich erheben sie diesen resignierten Blitzaufsteiger in seinen eine Spur zu eng sitzenden Anzügen zu ihrem gleichberechtigten Teilhaber?

Der Anwalt ist in Wahrheit gar kein Inder. Er täuscht lediglich vor, das zu sein, wovon er glaubt, es lasse ihn in den Augen der anderen als vollwertigen Amerikaner erscheinen. Krüger gibt im Wiener Burgtheater den Panik-Pakistani, eine Art Opferlamm in Permanenz, das zwischen lauter Wohlstandshyänen hin- und herhastet und buchstäblich alles verliert. Seine naiv tuende Frau, die muslimisch angehauchte Ornamente als Kunst verkauft und mit dem für sie ausschlaggebenden Kurator in die Kiste steigt. Seinen Job, weil er sich widerwillig für die Sache eines muslimischen Imams einsetzt, was wiederum seine Büroleiter gegen ihn aufbringt.

Und schließlich und nicht zuallerletzt: seine Contenance. Etwa bis zur Klimax – dem Abendessen mit dem aasigen Kurator Isaac (Nicholas Ofczarek) – findet Tina Laniks Burg-Inszenierung kaum heraus aus dem behaglichen Erzählen.

Kleine postmoderne Ringparabel

Dann, beim Genuss kleingehackten Salats, eskaliert die Szene. Amir hat schlechte Nachrichten aus dem Büro. Das schwelende Feuer der Demütigung löscht er mit Hochprozentigem. Isaac, der zynische Verwalter der bestehenden Verhältnisse, greift nach Emily. Amirs rechtschaffene Tirade gegen den Keim der Gewalt, der im Herzen des Islams angelegt sein soll, wehrt er brutal ab.

Ofczarek feiert einen zähnefletschenden Triumph als weißer Löwe des Bescheidwissens: Sein seifiger Liberalismus behält gegen lästige Migranten allemal recht. Und so gibt es nichts Sadistischeres als Isaacs Herablassung, mit der er Fenchelstücke aufspießt und dabei den Gastgeber seiner Frau – Isaac spendiert ihre eine Ausstellung -und obendrein noch seiner ohnehin wackeligen Identität beraubt.

Man kann von einer kleinen postmodernen Ringparabel sprechen. Alle bleiben ihr Leben lang, was sie im ethnisch-kulturellen Schmelztiegel der USA zu verkochen wünschten, um es auf bekömmliche Weise zum Verschwinden zu bringen: Jude, Muslim, WASP, Liberaler. Das Stück gipfelt in rohester Gewalt (Amirs gegen Emily). Der US-Pakistani verliert alles, zuvorderst aber seine Selbstachtung. Der "pursuit of happiness" basiert auf der rücksichtslosen Ausbeutung des gefährdeten Selbst.

Geringfügig nachgeschärftes Konverstaionsbesteck

Und doch hat sich Regisseurin Lanik während der eindreiviertel Stunden viel zu sklavisch an die Aufführungspraxis des gehobenen Konversationsstücks gehalten. Akhtars Drama, bei der Tiefe seines Worts genommen, weist weit zurück auf antike Tragödien wie Sophokles' "Ajax". Im Burgtheater hat man einfach das Konversationsbesteck von Yasmina Reza geringfügig nachgeschärft. Das zeitigt hübsche kleine Studien über giftige Salonreptilien und ihre Charakterpanzer (Isabelle Redfern als Isaacs Anwaltsgattin). Das ist unterm Strich dann aber doch zu wenig.

Trotz des freundlichen Applauses: Was hätte womöglich Andrea Breth aus diesem Stück gemacht. (Ronald Pohl, 27.11.2016)