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Am 22. Dezember 2002 fuhr Claudia Riegler in Lenzerheide auf Platz drei. Es war ihr erster Podestplatz nach fünf Jahren – und ihr letzter. Am Ende des Winters hörte sie auf. Der Killerinstinkt war weg.

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Riegler lebt in Annecy, fühlt sich dort "total wohl".

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Annecy/Wien – Alles begann mit Peter Schröcksnadels Unterschrift. Das war 1993. Die 16-jährige Claudia Riegler aus Ebenau spürte, dass sie es nicht in den ÖSV-Kader schaffen würde. "Ich bin nicht gut genug, aber ich würde gerne Ski fahren und für Neuseeland starten wollen", sagte Riegler damals zum Präsidenten des österreichischen Skiverbandes. Dieser willigte ein.

"Hätte Schröcksnadel nicht unterschrieben, wäre ich keine Skifahrerin geworden", sagt Riegler heute. Was der ÖSV-Chef nicht wusste, Riegler war damals schon ziemlich gut. Aber es gab Faktoren, die gegen sie sprachen. Die Nachwuchsathletin ging auf kein Skigymnasium, sie war eine von zahlreichen Salzburgerinnen und eine von zahlreichen Slalomläuferinnen. Damals suchte der ÖSV aber eher nach Allrounderinnen.

Also Neuseeland, das Geburtsland ihrer Mutter. Aber Neuseeland war, ist keine Skination. Riegler organisierte und finanzierte vieles selbst. "Das war alles nicht so einfach." Aber von dieser Erfahrung profitiere sie heute noch. "Ich wäre nicht so zielstrebig, ich finde immer eine Lösung."

Von 1994 bis 2003 fuhr Riegler im Weltcup. Schon als 19-Jährige erfuhr sie ihren ersten Sieg – am 28. Jänner 1996 in St. Gervais, Frankreich. Drei weitere Siege sollten folgen – alle in der Saison 1996/97. In der Disziplinenwertung musste sie sich damals trotzdem der Schwedin Pernilla Wiberg geschlagen geben.

Zahlreiche Ausfälle

Viermal wurde Riegler noch Dritte. Weit mehr Podestplätze wären möglich gewesen. Aber die Salzburgerin kam häufig nicht ins Ziel. "Ich bin oft ausgeschieden, wenn ich extrem schnell war." So auch 1997 bei der WM in Sestriere. Nach einer lockeren Fahrt im ersten Durchgang lag sie nur acht Hundertstelsekunden zurück. Riegler war siegessicher. "Es war das erste Mal, dass ich das gedacht habe. Ich war locker drauf. Und dann habe ich eingefädelt. Ich weiß nicht, warum."

Ein Jahr davor hatte sie in der Sierra Nevada WM-Bronze als Vierte um neun Hundertstelsekunden verpasst. "Ich habe im Steilhang einen Megafehler gemacht." Riegler ärgerte sich nicht übermäßig. Die damals 19-Jährige sah noch genügend Chancen auf Medaillen. Am Ende blieb dieser vierte Platz ihr bestes Ergebnis bei einem Großereignis. "Eine Medaille" , sagt sie, "wäre schon nett gewesen. Aber vielleicht habe ich es mir zu wenig gewünscht, Weltmeisterin zu werden." Riegler hatte eher vom Gewinn des Slalomweltcups geträumt.

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Claudia Riegler bei einem ihrer zahlreichen Ausfälle. "Ich bin oft ausgeschieden, wenn ich extrem schnell war." In 79 Weltcuprennen schied die Slalomspezialistin 31 Mal aus.
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Eine Goldene zu Hause

Eine Goldmedaille findet sich trotzdem in ihrem Haus in Annecy, Frankreich. Jene von Antoine Dénériaz, Abfahrtsolympiasieger 2006. Mit dem Franzosen ist Riegler seit 2008 verheiratet. Die beiden Söhne Aroha (7) und Cana (5) wachsen zweisprachig auf – und sportlich. Tennis, Turnen und natürlich Skifahren.

Die Buben, die Maori-Namen tragen, hätten sogar bei schlechtem Wetter "die volle Gaudi". Cana sei der Lebendigere, Aroha der Ruhigere – so wie der Papa. "Antoine ist nicht der wilde Speedjunkie. Er ist eher gelassen. Er holt mich runter."

Vor neun Jahren beendete Dénériaz seine Karriere, Riegler hörte bereits 2003 auf. "Der Killerinstinkt war nicht mehr da." Nach einer schwierigen Saison, in der sie einiges umgestellt hatte, fuhr sie im Dezember 2002 in Lenzerheide nach fünfjähriger Pause wieder aufs Podest. "Eigentlich hätte ich denken müssen, das nächste Rennen gewinne ich. Aber ich stand auf dem Stockerl und dachte, was mache ich da? Es war komisch." Also war am Ende des Winters Schluss. Mit gerade einmal 26 Jahren.

Unterstützung von einem Mäzen

"Es war eine schöne Zeit", sagt Riegler rückblickend. Aber eben keine einfache Zeit. In einer Saison war Riegler Weltranglisten-16., nicht in der ersten Startgruppe. "Das war schwierig für Sponsorenverträge." Ein finanzielles Loch tat sich auf. Aber Riegler hatte auch Glück. Ein wohlhabender Neuseeländer sah im Fernsehen ein Interview mit der Skirennläuferin und wollte sie unterstützen. "Ich dachte anfangs, das sei ein Scherz." War es nicht. "Er hat mir viel geholfen." Riegler hat noch immer Kontakt zu ihm.

Finanziell steht sie freilich längst auf eigenen Beinen. Riegler war zunächst für den neuseeländischen Skiverband tätig, später für die Skifirma Rossignol. Derzeit arbeitet sie für die französische Skibekleidungsfirma Fusalp, die in den 1960ern durch Jean-Claude Killy bekannt wurde, und für das schwedische Unternehmen Recco, das Lawinenverschütteten-Suchsysteme anbietet. Riegler kümmert sich um PR, Sponsoring, Lobbying. In Summe ein Vollzeitjob. "Aber ich bin nicht angestellt, kann mir die Arbeitszeit frei einteilen."

In der 52.000-Einwohner-Stadt Annecy im Osten Frankreichs fühlt sich Riegler "total wohl". Neuseeland ist zwar am anderen Ende der Welt, aber nicht aus der Welt. Vergangenes Jahr verbrachte sie samt Familie sechs Wochen im Herkunftsland ihrer Mutter. "Wir wollen nächstes Jahr wieder hin. Ich habe dort Verwandte, die schon älter sind."

Rückholversuche des ÖSV

In Österreich ist Riegler zwei- bis dreimal im Jahr. Mit dem ÖSV, sagt sie, habe sie keine Probleme. Nicht nur einmal hatte der österreichische Verband versucht, die schnelle Slalomläuferin zurück ins Team zu holen. Nach dem vierten WM-Platz 1996 in Spanien – Riegler war damals besser als alle ÖSV-Athletinnen – wurde sogar im ORF über ihre Rückkehr diskutiert. Mit dabei der damalige Damen-Rennsportleiter Raimund Berger und ÖSV-Präsident Schröcksnadel. Aber für Riegler gab es kein Zurück. "Ich bin nicht nach Neuseeland gegangen, damit ich dann zurückkehre."

Nach der Fernsehdiskussion wurde noch geplaudert. Schröcksnadel fragte die abtrünnige Erfolgsläuferin nach einem Wunsch. Diese antwortete: "Ein Ballkleid für die Salzburger Sportlergala." Riegler ließ sich ein Kleid schneidern. Die Rechnung schickte sie dem ÖSV-Chef. Eigentlich eher spaßhalber. Riegler: "Ich war ein Frechdachs." Aber der Adressat bezahlte. Das Kleid hat Riegler noch. Wertvoller war freilich Schröcksnadels Unterschrift. (Birgit Riezinger, 28.11.2016)