Gerichtsentscheid widerspricht der Dublin-Rückschiebepraxis, die in Österreich immer wieder zu Protesten führt.

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Grenzübergang Spielfeld mit offener Grenze am 27. Oktober 2015. Österreichs Asylbehörden setzten dennoch auf Dublin-Rückschiebungen, laut Flüchtlingshelfern gab es bisher über 1700 Anträge.

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Wien – Ein aktueller Spruch des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) dürfte Dublin-Rückschiebungen von Asylwerbern aus Österreich nach Kroatien künftig um einiges erschweren. Infolge des dem STANDARD vorliegenden Bescheids werde Flüchtlingen, die 2015 und 2016 im Zuge des sogenannten Durchwinkens über den Westbalkan ins Land kamen und die gegen ihren Ausreisebescheid aufschiebende Wirkung beantragen, diese wohl meist gewährt werden, meint der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk.

Auch Wiederaufnahmeanträge bereits nach Zagreb rückgeschobener Flüchtlinge hätten laut Funk nun Aussicht auf Erfolg. Denn in dem Entscheid vom 16. November bezüglich des Falls einer syrischen Familie widerspricht der VwGH der in Österreich bisher vertretenen Ansicht, die Einreise der Flüchtlinge sei illegal erfolgt.

Damit aber fehlt eine der Voraussetzungen, um Flüchtlinge in das Land zurückzuschicken, in dem sie als Erstes den Boden der EU betreten haben. Laut Dublin-III-Verordnung ist das nur nach illegaler Einreise möglich.

"Von staatlichen Sicherheitsbehörden organisiert"

Bei besagter syrischer Familie sei das keineswegs der Fall gewesen, führte die den Fall vertretende niederösterreichische Anwältin in ihrer Revisionsschrift gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus; dieses hatte die Dublin-Rückschiebung für rechtmäßig erklärt. Vielmehr sei deren Weiterkommen auf der Westbalkanroute "von den staatlichen Sicherheitsbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten organisiert und geduldet" worden.

Dass sie auf offene Grenzen gestoßen seien, hätten die Syrer auch zu Protokoll gegeben. Ob dies in ihrem Fall durch Fakten belegbar ist, muss laut VwGH aber noch genau überprüft werden.

In seinem Entscheid führt der Verwaltungsgerichtshof auch ein vom Obersten Gerichtshof in Slowenien eingebrachtes Prüfverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg ins Treffen. Geprüft wird, ob während des "Durchwinkens" die Grenzen im rechtlichen Sinn offen oder zu waren, die Einreisen illegal oder legal gewesen sind.

Warten auf EuGH-Spruch

Den Usancen entsprechend, gelte es den Ausgang des EuGH-Verfahrens in anderen EU-Staaten, also etwa Österreich, abzuwarten, erläutert Hans-Peter Lehofer, Pressesprecher des VwGH. Dadurch sei es "durchaus möglich", dass Dublin-Rückschiebungen nach Kroatien nun "stocken".

Noch weiterreichende Folgen sieht man bei der Diakonie, deren Rechtsberatung im konkreten Fall unterstützend tätig war. Rückgeschobene Flüchtlinge müssten "auf österreichische Kosten aus Kroatien zurückgeholt werden", meint Grundlagenreferent Christoph Riedl. "Das ist eine Bombe", meint auch der Anwalt Georg Bürstmayr. Die heimischen Asylbehörden müssten nun in jedem vergleichbaren Fall einzeln überprüfen, ob die Grenzübertritte heimlich oder legal erfolgt seien.

Generelle Auswirkungen habe der VwGH-Entscheid nicht, widerspricht dem im Innenministerium Karl-Heinz Grundböck. Auf Rückfrage hin bestätigt er aber: Von Asylwerbern gestellte Anträge, etwa auf aufschiebende Wirkung und damit Verbleib in Österreich, seien ernsthaft zu prüfen. (Irene Brickner, 29.11.2016)