Künstlerin fotografiert Künstlerin: Dieses Bild von Sarah Morris von der Kunstfotografin Anna Gaskell entstand im Restaurant des Four Seasons in New York.

Foto: Strange Magic

Parfums, Champagner, Baukräne und Prostitution: Wie das zusammengeht, zeigt Sarah Morris in ihrem Kunstfilm "Strange Magic".

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Ausschnitte aus "Strange Magic" ...

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STANDARD: Frau Morris, mögen Sie Luxus?

Sarah Morris: Es ist eine Art Hassliebe. Luxus ist ein sehr schlüpfriges Konzept. Es ist kaum mit Händen zu greifen, bedeutet für jeden etwas anderes.

STANDARD: Wie sieht es mit Luxusprodukten aus?

Morris: Der Punkt ist: Luxus ist eine illusorische Sache. Wir begehren ihn, aber können ihn nie wirklich besitzen. Kauft man sich ein Luxusprodukt, wird man oft enttäuscht. Das Produkt verliert seinen Schein, der Traum löst sich in Luft aus. Für manche Menschen ist Kunst Luxus, für mich nicht. Sie ist etwas, das mich tagtäglich umgibt, mir täglich Kopfzerbrechen bereitet.

STANDARD: Sie haben für das weltgrößte Luxusimperium, LVMH, einen Film über die Errichtung von Frank Gehrys Fondation Louis Vuitton im Pariser Bois de Boulogne gedreht. Im Unterschied zu vielen Künstlern, die der materialistischen Welt des Luxus mit Skepsis gegenüberstehen, scheinen Sie davon fasziniert zu sein. Täuscht dieser Eindruck?

Morris: Es gibt eine lange Tradition in der Kunstwelt, sich mit Luxus zu beschäftigen, denken Sie nur an Martin Kippenberger oder Andy Warhol. Als man an mich mit der Bitte herantrat, diesen Film zu drehen, war mir sofort klar: Ein Museum ist mehr als eine Hülle. Architektur ist für mich immer eine Entschuldigung, mich mit anderen Dingen zu beschäftigen, in diesem Fall mit der Welt von LVMH, einem Konzern, der eine Art Citizen Kane in der Unternehmenswelt darstellt. Die Gruppe umfasst Marken, die identitätsstiftend für Frankreich sind. Dior, Louis Vuitton, Moët & Chandon. Ich habe versucht, der Bewegung des Kapitals zu folgen, an dessen Ende dieser Film steht, nachzuvollziehen, woher das Geld kommt, das die Errichtung dieses von Frank Gehry entworfenen Museums ermöglichte.

STANDARD: Luxus ist von viel Schein umgeben. Haben Sie das Gefühl, Sie konnten auch hinter die Fassade schauen?

Morris: Ich bin keine Dokumentarfilmerin, ich versuche nicht, eine Art Wahrheit hinter dem Vorhang zu entdecken. Ich bin fasziniert von den repetitiven Vorgängen in den Fabriken, der Schönheit der Maschinen, dem Prozess, wie ein Glasflakon nach dem anderen mit Parfum abgefüllt wird. Das ist kapitalistische Poesie, der ich auf der Spur bin.

STANDARD: Kapitalistische Poesie?

Morris: Ja, diese Vorgänge hypnotisieren einen. Man weiß, dass pro Jahr 30 Millionen Flakons hergestellt werden, allesamt in Frankreich. Es grenzt an ein Wunder, dass genau so viele Menschen jährlich überzeugt werden können, sich mit den darin enthaltenen Essenzen zu besprühen. Wie verändert sich deren Leben dadurch? Lernen Sie jemanden Tollen kennen? Bessert sich ihr Leben?

STANDARD: Man versucht Träume zu verkaufen. Haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie mit Ihrem Film diesen Traum noch magischer erscheinen lassen?

Morris: Ja, klar. Ich spiele in meinem Film mit Werbebildern, ich würde sogar sagen, dass meine Bilder oftmals besser als Werbung sind. Aber: Dior verwendet nicht Prostituierte im Bois de Boulogne, um das Parfum J'adore zu bewerben. Deren Glamour stelle ich dem Glamour der Luxusindustrie gegenüber, Prostituierte verkörpern ein anderes Konzept von Weiblichkeit als jenes in den Werbekampagnen der Luxusindustrie.

STANDARD: Ihre Kritik kommt aber sehr sublim daher.

Morris: Jeder Künstler, der sich in einen Dialog mit einer Institution begibt, liefert sich bis zu einem gewissen Grad der Institution oder dem Unternehmen aus.

STANDARD: Aber es ist Ihre Entscheidung, ob Sie überhaupt in einen Dialog treten wollen. Es ist nicht das erste Mal, dass Sie sich mit der Welt des Luxus und des schönen Scheins beschäftigen. Für die "Vogue" in Großbritannien haben Sie vor Jahren ein Cover mit Kate Moss gestaltet. Woher kommt die Faszination für diese Glamourwelt?

Morris: Weil wir von ihr umgeben sind! Ist Kate Moss auf dem Cover der "Vogue", fungiert sie als eine Art Portal für das ganze Heft. In diesem Fall gaben sie den Raum einer Künstlerin, und das finde ich eine tolle Sache. Künstler sollten viel mehr Cover, Plattenhüllen oder Autowerbungen gestalten. Ich kann das besser als viele Modefotografen! Als Richard Hamilton das "Weiße Album" der Beatles gestaltete, war das ganz ähnlich. Man spielt mit kapitalistischen Formen, und das macht Spaß!

STANDARD: Sollte man als Künstler nicht Distanz wahren? Kritik üben, statt sich einspannen lassen?

Morris: Distanz ist genauso wie Luxus eine illusorische Sache. Weil Luxus eine Erfahrung ist, und genau die kann man nicht verkaufen. Die Avantgarde machte es sich zur Aufgabe, Distanz zu wahren, ich würde aber behaupten, dass das schon damals ein Blödsinn war. Die interessantesten Künstler haben sich immer schon mit den Bedingungen der Gesellschaft auseinandergesetzt. Aber das bedeutet nicht, dass man keine Stimme hat, dass man nicht Widerstand leisten kann. Man muss akzeptieren, dass man selbst Teil einer Struktur ist, die größer ist als man selbst. Wenn man so tut, als ob man außerhalb davon stehen würde, aber trotzdem zu Starbucks geht, Coca-Cola trinkt und mit United Airlines fliegt, dann sitzt man einem Missverständnis auf.

STANDARD: Die Frankfurter Schule hätte argumentiert, dass man von dieser Welt leicht kannibalisiert werden kann.

Morris: Das muss man historisch sehen. Auch Max Horkheimer ist nach dem Krieg nach Frankfurt zurückgekehrt, hat sich mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten beschäftigt. Meine Position ist die, dass es keine Position außerhalb des Systems gibt. Selbst wenn uns Dinge zuwider sind, müssen wir uns mit ihnen beschäftigen. Konzerne wie LVMH sind nicht nur mächtig, weil sie viel Geld haben, sondern weil sie Produkte verkaufen, die Leute begehren. Ja, sie produzieren Begehren.

STANDARD: Für die französische Handtaschenmarke Longchamp haben Sie acht "Le Pliage"-Taschen designt. Was haben Sie davon außer Geld?

Morris: Noch einmal: Ich denke, Künstler sollten über ihren Tellerrand hinausschauen. Ein wichtiger Einfluss meiner Arbeit ist das Bauhaus. Viele Dinge könnten so viel besser aussehen, wenn Künstler bei der Gestaltung mithelfen könnten. Bei Longchamp kam dazu, dass ich Nylon und Polyester liebe, in meiner Malerei ist Polyester ein wichtiger Werkstoff. Nachdem "Le Pliage" eine der bekanntesten Nylontaschen der Welt ist, hat mich das besonders gereizt. Aber klar: Die Welt dreht sich nicht um Handtaschen, aber warum sollte man nicht eine designen?

STANDARD: Landläufig unterscheidet man zwischen Designer und Künstler. Möchten Sie diese Trennung aufheben?

Morris: Nein, da gibt es einen großen Unterschied. Wenn ich sage, dass Künstler öfters zurate gezogen werden sollen, dann meine ich nicht, dass sie alles besser können. Aber Menschen spielen Rollen in der Gesellschaft, und es wäre gut, wenn sie diese Rollen manchmal wechseln würden. Betrachten Sie nur meine Arbeit: Sie ist zum Teil Unterhaltung, Grafikdesign, Politik, sie beschäftigt sich mit Unternehmensstrukturen, Städtebau, Architektur et cetera. Warum also nicht auch einmal Ausflüge in diese Bereiche machen?

STANDARD: Bei Louis Vuitton gibt es eine Tradition in der Zusammenarbeit mit Künstlern. Der Künstler Takashi Murakami gestaltete Taschen für die Marke, auch Richard Prince. Was halten Sie davon?

Morris: Diese Frage möchte ich lieber nicht beantworten.

STANDARD: Warum das?

Morris: Wie gesagt: lieber nicht. (Stephan Hilpold, RONDO, 6.12.2016)