Die Großeltern einer mehrsprachigen Familie sind eine wunderbare Chance für die Kinder, die Erbsprache ihrer Eltern zu verbessern und direkteren Zugang zu der Ursprungskultur der eigenen Eltern und Großeltern zu bekommen.

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Meine Tochter liebt Gutenachtgeschichten. Diese dürfen beim Zubettgehen nicht fehlen. In unserer dreisprachigen Familie bin ich für die Bücher auf Bulgarisch und Deutsch zuständig. Und obwohl sie noch nicht lesen kann, weiß sie Bescheid und sortiert aus der Kinderbibliothek die Bücher in den "richtigen" Mamasprachen heraus. Ich beherrsche beide Sprachen, Deutsch und Bulgarisch, in Wort und Schrift, muss aber zugeben, dass meine dominante Sprache Deutsch ist. Und wenn ich den Kasperl mache beim Vorlesen und in die verschiedenen Rollen von Wölfen, Ziegen, Schneewittchen und Alice in Wunderland schlüpfe, so bin ich auf Deutsch anscheinend überzeugender. Denn unlängst meinte meine Tochter: "Mama, der Opa, der liest das lustiger vor als du." Mit Opa ist mein Vater gemeint, der oft und gerne den Kindern vorliest. Sein Bulgarisch ist natürlich besser als meines.

Er ist eine wichtige Bezugsperson für meine Kinder geworden. Und da in diesem Alter Spracherwerb größtenteils durch Beobachten, Zuhören und Imitieren passiert, beeinflusst er maßgeblich die sprachliche Entwicklung meiner Tochter.

Voll und ganz beim Kind

Die Großeltern einer mehrsprachigen Familie sind eine wunderbare Chance für die Kinder, die Erbsprache ihrer Eltern zu verbessern, direkteren Zugang zu der Ursprungskultur der eigenen Eltern und Großeltern zu bekommen und diese beiden Komponenten, Sprache und Kultur, miteinander in Beziehung zu setzen. Großeltern haben oft einen ganz anderen Rhythmus mit ihren Enkelkindern als wir Eltern. Bevor meine Kinder die Oma, meine Mutter, besuchen, hat sie alles auf die Seite geschoben, damit sie sich voll und ganz den Enkelkindern widmen kann. Der Haushalt muss warten und es gibt auch kein Smartphone, auf dem E-Mails und Facebook zwischendurch gecheckt werden. Sie ist mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit bei den Kids. Und in der frühen Sprachentwicklungsphase ist es genau das, was die Kinder brauchen: jemanden der viel mit ihnen spricht.

Sympathiebonus der Großeltern

Und nicht zu vergessen ist der Sympathiebonus den Großeltern meist haben. Sie sind für die Kleinen die Helden und Heldinnen, die ihnen ihre Wünsche von den Augen ablesen. Da können wir Eltern nicht mithalten ;-). Dieser Sympathiebonus weitet sich auch auf die Sprache der Großeltern aus und motiviert die Kinder. Eine Mutter, die einen meiner Workshops besuchte, erzählte mir, wie begeistert ihre Kinder vom Portugiesischen seien und die Sprache förmlich von den Lippen der brasilianischen Großeltern aufsaugen.

Hilfe und Bereicherung

Aber kann man denn eine Sprache nur von den Großeltern lernen? Diese Frage stellen mir Eltern oft. So ganz ohne Mutter und Vater wird es schwierig. Dafür müssten die Kinder die Großeltern mehrmals in der Woche sehen und das über mehrere Stunden. Das ist eher die Seltenheit in einer mitteleuropäischen Familie. Aber sie können maßgeblich zur Sprachentwicklung beitragen und die schwächere Sprache neben Deutsch stärken und vor allem attraktiv machen und so die Kinder motivieren.

Mira und Anton halten ihren neugeborenen Sohn im Arm und lauschen den Ausführungen über Mehrsprachigkeit bei meinem Workshop. Sie sind eine internationale Familie. Mira ist zweisprachig mit Serbisch und Deutsch aufgewachsen. Anton ist dreisprachig: Niederländisch, Deutsch und Englisch sind seine Sprachen. Sie wollen ihre eigene Mehrsprachigkeit an ihren Sohn weitergeben. Bei so vielen Sprachen können die Großeltern einen entscheidenden Beitrag leisten. Sie können dabei helfen, dass vor allem die schwachen Sprachen in der Familie nicht verloren gehen, indem sie nahe an dem Enkel bleiben und ihm die Funktion der Sprachen näherbringen.

Keine Angst, sondern Liebe

Selbstverständlich können Großeltern auch die Entwicklung der deutschen Umgebungssprache beflügeln. Vor einiger Zeit – meine Tochter hatte gerade angefangen in längeren Sätzen zu sprechen – ermahnte sie ihren deutschsprachigen Großvater: "Du musst Deutsch mit mir sprechen!" Neben den Kindergartenbetreuerinnen ist er eine wichtige Bezugsperson, die die deutsche Sprache in ihrem Leben repräsentiert. Und da für Kinder die Emotionalität der Sprache innewohnt, sind wichtige Bezugspersonen auch immer sprachliche Orientierungspunkte für sie.

Aus der Elternarbeit kenne ich die Sorgen mancher deutschsprachiger Großeltern, die glauben, die Mehrsprachigkeit gefährde die gute Sprachentwicklung der Enkel auf Deutsch. Das Gegenteil ist der Fall: Alle Sprachen, die emotional für das Kind eine Rolle spielen, sollten gefördert werden. Die Großeltern können den deutschen Part übernehmen ohne die andere(n) Sprache(n) ins Abseits drängen zu wollen, sondern um mit Aufmerksamkeit und Liebe ihre Enkelkinder sprachlich zu begleiten.

Die ganze Großfamilie für die Sprachentwicklung

Vielleicht kennen Sie das afrikanische Sprichwort "Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf". In meiner Rolle als Sprachwissenschaftlerin erlaube ich mir, es frei zu interpretieren und etwas zu erweitern: "Um ein mehrsprachiges Kinder zu erziehen, braucht es die ganze Großfamilie."

Fazit ist, dass Großeltern durch ihre Hingabe, Aufmerksamkeit und Zeit eine wunderbare emotionale und sprachliche Bereicherung für unsere mehrsprachigen Kinder sein können. Und wenn sich sowohl Eltern also auch Großeltern dieser wunderbaren Rolle bewusst sind, können sie sie noch besser nutzen und lenken. (Zwetelina Ortega, 30.11.2016)