Die gelben Sensoren steigern die Effizienz der Müllabfuhr. 30.000 Stück sind etwa in Großbritannien, den USA und Japan im Einsatz.

Enevo

Die "smarte" Tonne kann Kosten um bis zu 40 Prozent verringern.

Enevo

Ger Vervoorn sammelt seit 33 Jahren Müll ein. Die längste Zeit, sagt der Mann mit blauer Hose und blau-oranger Jacke, sei er Woche für Woche die gleichen fünf Tagesetappen durch Rotterdam gefahren. Manchmal seien die Müllcontainer voll gewesen, manchmal halb leer. "Doch jetzt haben wir ein Tablet in der Kabine, das uns durch die Stadt navigiert und uns ganz genau mitteilt, wo es sich gerade lohnt, die Tonne zu leeren", so der 58-Jährige.

Die Technologie, die sich dahinter verbirgt, stammt vom finnischen Start-up Enevo. Das 2010 gegründete Unternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, Mülldaten zu sammeln und die Müllabfuhr in den Städten effizienter zu machen. Möglich wird dies durch spezielle Müllsensoren, die mittels Ultraschalls die Befüllung der Tonne messen und die Daten in Echtzeit an die Serverfarm von Enevo schicken. Dort generiert das System die ideale Müllroute für den Arbeitstag.

Neue Ansätze

"Wenn wir von der Zukunft der Stadt sprechen, dann müssen wir uns auch mit der Zukunft der nicht ganz so schönen Begleiterscheinungen auseinandersetzen", sagt Fredrik Kekäläinen, CEO von Enevo. "Tatsache ist, dass die städtische Bevölkerung im Schnitt 1,9-mal so viel Müll pro Kopf produziert wie jene in ländlichen Regionen. Um diese Probleme zu lösen, braucht es dringend Technologien und ganz neue Ansätze der Müllentsorgung. Ansonsten ersticken wir im Müll."

Die Lösung von Enevo ist eidottergelb und misst sechs Zentimeter in der Höhe und knapp zehn Zentimeter im Durchmesser. Die germknödelgroßen Kunststoffobjekte namens WE-008 und WEL-002 werden direkt an die Deckel der Mülltonnen geschraubt und sind sofort einsatzbereit. Während die Konkurrenzprodukte Smart Bin (Irland) und Big Belly (USA) den Betreiber erst per Mail kontaktieren, sobald der Container voll ist, misst der Enevo-Knödel ununterbrochen. Die Batterie hält laut Hersteller zehn Jahre und funktioniert bei Temperaturen von -40 °C bis +85 °C.

Prognosen für Müllabfuhr

"Dank der permanenten Datenübermittlung", erklärt Bernhard Korjonen, "können wir nicht nur reagieren, sondern sind auch in der Lage, Prognosen zu erstellen." Der gebürtige Tiroler lebt seit einigen Jahren in Helsinki und arbeitet als Projektmanager für Enevo. Gemeinsam mit seinen rund 50 Kollegen sitzt er in einem Büro in Espoo, nur wenige Kilometer von Helsinki entfernt.

"Nachdem wir also nicht nur den Vollzustand übermittelt bekommen, können wir ganz genau beobachten, in welchen Lagen in der Stadt sich die Tonnen wann und wie schnell füllen", so Korjonen. "Das System beobachtet, speichert die Daten und lernt selbstständig dazu. Normalerweise wird eine große Tonne mit 60 oder 70 Prozent Befüllungsgrad links liegen gelassen und erst am nächsten oder übernächsten Tag angefahren. In hochfrequenten Lagen jedoch – in Fußgängerzonen, auf Bahnhöfen, in der Nähe von Schulen, Sehenswürdigkeiten und öffentlichen Ämtern – kann es sein, dass die Software die Daten mit den Erfahrungswerten abgleicht und beschließt, die Entleerung sofort vorzunehmen." Auch Faktoren wie Verkehrsaufkommen, Baustellen und temporäre Veranstaltungen mit hohem Menschenaufkommen fließen in die Berechnungen mit ein. Damit ist die Software dem Menschen stets einen Schritt voraus.

Neuer Sensor auch für Öle

Bislang hat Enevo rund 30.000 Sensoren in Umlauf gebracht. Sie messen Haushaltsmüll, Biomüll, Altpapier, Glas, Metall und Textil. Seit wenigen Wochen ist auch ein Müllsensor für Flüssigkeiten wie Öle und Chemikalien auf dem Markt. Bis Jahresende, so die Prognose des finnischen Unternehmens, will man die Marktdurchdringung auf gut 50.000 Sensoren erhöht haben. Zu den rund 100 Kunden zählen in erster Linie Kommunen in Großbritannien, in den Beneluxstaaten, in den USA sowie in Japan.

Besonders stolz ist man auf die Kooperationspartner in Amsterdam, Antwerpen, Kopenhagen, Malmö, London, Edinburgh, Boston, San Francisco, Pittsburgh, Hongkong, Singapur, Nagano und Fukuoka. Und natürlich auf Rotterdam. Das sind jene Vorreiterstädte, in denen die operativen Kosten in der Müllabfuhr besonders stark gesenkt werden konnten.

"Durch unsere Software reduzieren wir nicht nur die Arbeitszeit, sondern auch die gefahrenen Kilometer, den Spritverbrauch und nicht zuletzt den CO2-Ausstoß. Im Durchschnitt können wir die Kosten um 30 bis 40 Prozent verringern, manchmal auch um bis zu 50 Prozent." Dass damit in der Regel auch Personal eingespart wird, sagt man bei Enevo nicht dazu.

Geschäft mit Softwareverträgen

Das Businessmodell von Enevo ist geschickt: Nicht mit den Sensoren, die in der Produktion je nach Modell zwischen 120 und 150 Euro pro Stück kosten, macht man das Geschäft, sondern mit den Softwareverträgen, die zwischen Kunde und Firma abgeschlossen werden. Die Dienstleistung beziffert Enevo – abhängig von Umfang und Vertragsdauer – auf durchschnittlich neun bis zehn Euro pro Stück. Die Sensoren selbst werden in den meisten Fällen geleast.

"Die Sensoren machen vieles einfacher", sagt der Rotterdamer Müllfahrer Ger Vervoorn. "Es ist ein intelligentes System, das mir Arbeit abnimmt. Ich möchte nicht mehr zurückwechseln." Weltweit gibt es nach Auskunft von Enevo rund 400 Millionen Müllcontainer im öffentlichen Raum. 3,5 Millionen Tonnen Müll produziert die Weltbevölkerung jeden Tag. Bis 2025 wird sich die Zahl, trotz Recycling und Biotrend, fast verdoppeln.

"Wenn wir von Smart Cities sprechen", sagt Enevo-Chef Fredrik Kekäläinen, der bereits mehr als 24 Millionen Euro Fremdkapital lukrieren konnte, "dann wittere ich im Müll" – er macht die stinkende Vorzeigebiotonne auf dem Firmengelände auf – "besonders viel Smartness." (Wojciech Czaja aus Helsinki, 1.12.2016)