Gedenkveranstaltung für die beim Flugzeugabsturz nahe Medellín verstorbenen Mitglieder des brasilianischen Erstligisten Chapecoense.

Foto: APA / AFP / Luis Acosta

Medellín – Nach dem Flugzeugunglück in Kolumbien mit 71 Toten hat die Zivilluftfahrtbehörde am Mittwochabend Treibstoffmangel als wahrscheinlichste Absturzursache genannt. "Nach dem Eintreffen am Unglücksort und der Untersuchung der Wrackteile können wir festhalten, dass das Flugzeug keinen Treibstoff mehr hatte", sagte der für nationale Flugsicherheit zuständige Sekretär Freddy Bonilla.

Kolumbianische Medien veröffentlichten am Mittwoch zudem den Mitschnitt eines Funkspruchs, mit dem der Pilot den Kontrollturm alarmierte. "Flug Lamia 2933 hat Totalversagen, totales elektronisches Versagen, kein Treibstoff", sagt der Sprecher, bei dem es sich um den Piloten Miguel Q. handeln soll.

"Kein ausreichender Treibstoff"

Bereits zuvor soll der Pilot den Kontrollturm darum gebeten haben, wegen "Treibstoffproblemen" bei der Erteilung der Landegenehmigung bevorzugt zu werden. Der Kontrollturm am Flughafen Medellín kam dieser Bitte nach, dann riss der Funkkontakt ab.

Die Behörden wollen nun untersuchen, warum der Maschine vom Typ Avro RJ85 der Treibstoff ausgegangen ist. Die beiden gefundenen Flugschreiber sind bereits auf dem Weg nach Großbritannien, wo Experten des Flugzeugbauers British Aerospace sie auswerten sollen.

Das Flugzeug müsse laut internationalen Vorschriften genügend Treibstoff mitführen, um den Zielflughafen zu erreichen, und zudem eine Reserve für weitere 30 Minuten Flug, erklärte Bonilla. "In diesem Fall verfügte die Maschine aber leider nicht über ausreichend Treibstoff."

Geplanter Tankstopp wurde abgesagt

Bolivianische Medien hatten zuvor unter Berufung auf einen Vertreter der Fluggesellschaft Lamia, Gustavo Vargas, berichtet, dass das Flugzeug zwischen dem Start im bolivianischen Santa Cruz und der Landung im kolumbianischen Medellín eigentlich noch einmal in Bogota hätte zwischenlanden und tanken müssen. Der Pilot sei aber der Meinung gewesen, dass der Treibstoff reiche.

Er war laut Medienangaben Miteigentümer der kleinen Fluggesellschaft, die sich auf Charterflüge für Sportvereine spezialisiert hat. Der Flug, für den die Reichweite des Flugzeugs knapp, aber doch ausreicht, war schon mehrfach ohne teure Zwischenlandung durchgeführt worden – allerdings jeweils bei gutem Wetter.

Luftfahrtexperte: Treibstoffmangel sehr selten

Der Flugzeugabsturz stellt Experten vor Rätsel. "Bei ordnungsgemäßem Betrieb kann es gar nicht möglich sein, dass der Treibstoff ausgeht", sagte der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt am Donnerstag.

Es gebe Richtlinien, die international gelten. So müssten Piloten genug Treibstoff getankt haben, um notfalls eine Dreiviertelstunde auf die Landeerlaubnis warten oder einen Ausweichflughafen anfliegen zu können. "Und wenn denn tatsächlich – aus welchen Gründen auch immer – die Reserven zur Neige gehen sollten, dann sorgt die Flugsicherung dafür, dass man auf kurzem Weg zur Landebahn kommt."

Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) kritisiert der Sparzwang von Billigairlines. Deren Piloten würden "dazu gedrängt, extra wenig zu tanken", um Kosten zu sparen, sagte VC-Vorstandsmitglied Jörg Handwerg. Beide sind sich einig: Man könne das Treibstoff-Problem auf keinen Fall auf die Allgemeinheit der Fluggesellschaften übertragen.

Absturz in Kolumbien

Die Chartermaschine war in der Nacht auf Dienstag in den Bergen im Nordwesten Kolumbiens abgestürzt. An Bord war fast die gesamte Mannschaft des brasilianischen Fußball-Erstligisten Chapecoense, die auf dem Weg zum Hinspiel des Finales um den Südamerika-Cup gegen den kolumbianischen Klub Atletico Nacional war. Nur sechs Personen überlebten das Unglück, darunter drei Spieler. (APA, Reuters, 1.12.2016)