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Die Anti-EU-Stimmung, wie hier bei einer Demo in Tschechien, könnte in Österreich bei einem Sieg von Norbert Hofer stärker werden, fürchtet Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionschef im Bundestag.

Foto: EPA/FILIP SINGER

STANDARD: Wird die Bundespräsidentenwahl am Sonntag Auswirkungen auf Deutschland haben?

Hofreiter: Ich verfolge die Wahl mit großem Interesse. Schon weil ich aus Bayern stamme und familiäre Beziehungen nach Oberösterreich habe. Aber die Wahl hat Bedeutung für ganz Europa. In diesen unsicheren und unruhigen Zeiten ist es erst recht wichtig, dass jemand mit Verstand und Vernunft Staatschef wird.

STANDARD: Es ist unschwer zu erraten, wen Sie als Grüner meinen.

Hofreiter: Van der Bellen steht für Anstand und respektvollen Umgang mit allen Menschen, auch denen, die eine andere Meinung haben. Seine Wahl wäre ein wichtiges Zeichen für Toleranz und Meinungsfreiheit. Und wir brauchen Staatschefs, die Europa stärken und zusammenhalten. Alle EU-Mitgliedsstaaten sind allein zu klein, um Herausforderungen wie Globalisierung und Klimakrise zu bewältigen. Ein Auseinanderdriften der EU führt zu Verunsicherung, das hat das Brexit-Votum gezeigt. Für ein Land wie Österreich, das so stark vom Import und Export lebt, wäre diese Art von Verunsicherung fatal.

STANDARD: Viele, die Norbert Hofer wählen, tun dies aus Enttäuschung über die anderen Parteien. Können Sie das nachvollziehen?

Hofreiter: Dauerhafte große Koalitionen tun einer Demokratie nicht gut. Und man hat, nicht nur in Österreich, zu lange Teile der Bevölkerung übersehen. In den USA ist das noch ausgeprägter. Auch in Deutschland gilt: Der Wohlstand ist nicht bei allen gleichmäßig angekommen. Das spaltet die Gesellschaft. Es ist eben nicht egal, was Reinigungskräfte verdienen. In Deutschland haben wir zum Beispiel den Mindestlohn zu spät eingeführt.

STANDARD: Brächte ein Sieg von Norbert Hofer der Alternative für Deutschland Schub?

Hofreiter: Man kann Lehren für Deutschland ziehen: Wir dürfen nicht den Populisten hinterherlaufen, damit macht man sie gesellschaftsfähig und stärkt sie. Denn am Ende wählen die Leute das Original. Was das "Denen da oben zeig ich's mal" betrifft: Deshalb haben viele Briten für den Brexit gestimmt. Den wirklich Reichen schadet diese Entscheidung nicht. Aber die Arbeiter und Angestellten, die haben sich quasi selbst ins Gesicht geschlagen, weil ihre Jobs jetzt unsicherer sind.

STANDARD: In Deutschland wird die AfD immer stärker. Wie sollten die etablierten Parteien mit dieser neuen Konkurrenz umgehen?

Hofreiter: Man muss sich genau anschauen, wer AfD wählt und warum. Das sind zum Teil Rechtsradikale. Aber es sind auch klassisch Konservative, die vor dem ewigen Streit bei CDU und CSU geflüchtet sind. Und es gibt dann noch jene Menschen, die sozial abgehängt sind und sich von den etablierten Parteien einfach nicht mehr vertreten fühlen.

STANDARD: Die Grünen sind von der Verantwortung befreit?

Hofreiter: Nein, die dritte Gruppe geht uns alle etwas an. Das sind zum Beispiel Menschen, die auf dem Land wohnen und erleben, wie sich der Staat immer weiter zurückzieht. Es fährt kein Bus mehr in ihr Dorf, es gibt dort keine Bank, keine Apotheke, keine Bibliothek mehr. Der Staat muss wieder in die Infrastruktur investieren und präsent sein.

STANDARD: Sie kritisieren als Oppositionschef im Bundestag auch die Regierung. Wie wollen Sie verhindern, dass davon die AfD profitiert?

Hofreiter: Man muss die Kritik richtig vorbringen, präzis Ross und Reiter nennen. Wir dürfen also nicht "die Politik" schlechtmachen, sondern konkret Versäumnisse der Bundesregierung aufzählen. Und man muss die AfD klar in die Schranken weisen, wenn sie behauptet, allein für das Volk zu sprechen. In Dresden haben 500 Menschen Anfang Oktober bei der Einheitsfeier gepöbelt. Die AfD meinte, das sei Volkes Stimme. Das ist maßlos übertrieben. Der ganz große Teil des Volkes benimmt sich so nicht.

STANDARD: Die Grünen koalieren in deutschen Landesregierungen mittlerweile mit durchaus unterschiedlichen Partnern – mit CDU, SPD, FDP und Linken. Sind sie beliebig geworden?

Hofreiter: Eine demokratische Partei muss mit allen demokratischen Parteien koalitionsfähig sein. Es kommt dabei jedoch entscheidend auf die Bedingungen an, darauf, welche Inhalte man durchsetzen kann. Das muss klar und transparent vorgebracht werden.

STANDARD: Wie passt diese Klarheit zum wolkigen Vorhaben der Grünen, "Superreiche" zu belasten?

Hofreiter: Damit sind Multimillionäre gemeint, das reichste eine Prozent Deutschlands. Es geht nicht, dass Buchläden und Kaffeehausbesitzer ihre Steuern zahlen, Amazon und Starbucks hingegen nicht.

STANDARD: Vier Personen wollen die deutschen Grünen in die Bundestagswahl 2017 führen, zwei werden gerade per Urwahl ermittelt. Warum bewerben Sie sich?

Hofreiter: Ich stehe klar für ökologische Themen wie Klimawandel, Landwirtschaft und Mobilität, außerdem für Fragen der Gerechtigkeit. Ich kann Kante zeigen, wenn es nötig ist und damit deutlich machen, dass wir nicht beliebig sind, sondern konsequent für eine zukunftsfähige Politik eintreten. (Birgit Baumann, 2.12.2016)