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Der Beginn der türkischen Bodenoffensive in Syrien am 25. August 2016. Die deklarierten Ziele waren der Kampf gegen den "Islamischen Staat" und gegen PKK-nahe syrische Kurden. Vom Sturz des Assad-Regimes war nicht die Rede. Eine entsprechende Bemerkung vom Dienstag hat Präsident Erdoğan wieder zurückgenommen.

Foto: REUTERS/Umit Bektas

Ankara/Damaskus/Wien – Am Donnerstag ist alles wieder anders: Die Intervention der türkischen Bodentruppen in Syrien sei allein gegen Terrororganisationen gerichtet und nicht gegen ein Land oder eine Person, sagte der türkische Präsident Tayyip Erdoğan in Ankara – nicht zufällig während im südtürkischen Alanya Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow empfing.

Die Russen hatten sich schwer irritiert gezeigt, nachdem sich Erdoğan am Dienstag zu folgendem Statement hatte hinreißen lassen: "Wir sind dort (in Syrien, Anm.), um Gerechtigkeit zu bringen. Wir sind dort, um die Herrschaft des grausamen Staatsterroristen Assad zu beenden." Das entspricht Erdoğans Haltung zu Assad seit dem Ausbruch des Aufstands in Syrien im Jahr 2011. Aber um in Syrien mit russischer Duldung mitspielen zu können, war der Sturz Assads zumindest offiziell nicht mehr Erdoğans Thema.

Erdoğan, der seine Aussagen auch in einem Telefonat mit Präsident Wladimir Putin erläuterte – Details unbekannt –, tanzt in Syrien auf einem dünnen Seil. Zwar sind die Beziehungen zu Moskau offiziell halbwegs repariert, aber einen gemeinsamen Nenner in Syrien bedeutet das nicht. War es in den vergangenen Monaten noch relativ einfach, das türkische Operationsgebiet in Syrien von der russisch-syrischen Kampfarena separiert zu halten, so wird das mit den jüngsten Erfolgen der syrischen Regimearmee zunehmend schwieriger.

Kein russischer Sanktus

Die Türken stehen vor der vom "Islamischen Staat" gehaltenen Stadt al-Bab, unter der Prämisse, sie hätten für deren Einnahme – gemeinsam mit dem türkisch gestützten Teil der Free Syrian Army (FSA) – den Sanktus Russlands. Aber wenn Aleppo fällt, dann hat die syrische Armee Ressourcen für andere Frontabschnitte, und Damaskus und Moskau wollen nicht, dass dann in al-Bab die FSA fest installiert ist.

Ein Luftschlag bei al-Bab am 24. November, bei dem vier türkische Soldaten getötet wurden, stellte sich in diesem Kontext als von Russland geduldete Aktion des syrischen Regimes gegen die türkische Präsenz dar – noch dazu am Jahrestag des Abschusses eines russischen Militärjets durch die Türken. In Alanya beteuerte Lawrow jedoch am Donnerstag, dass weder Russland noch Damaskus dafür verantwortlich sei. Vielleicht war der Angriff wirklich vom "Islamischen Staat" gekommen, der die Aktion für sich reklamiert hatte.

Im November 2015 hatte die Türkei einen russischen Militärjet abgeschossen, der in den türkischen Luftraum eingedrungen war: Russische Sanktionen, von Handelsbeschränkungen bis zu einer neuen Visapflicht für Türken, waren die Folge. Im Juni 2016 rang sich Erdoğan zu einer Entschuldigung durch, im August eröffnete die Türkei ihre syrische Bodenoffensive Operation Euphrates Shield mit zwei deklarierten Zielen: den "Islamischen Staat" und die syrisch-kurdische, PKK-nahe YPG zu bekämpfen.

Die russischen Sanktionen gegen die Türkei sind noch immer nicht alle aufgehoben: Am 5. Dezember fährt Premier Binali Yıldırım nach Moskau und versucht die Normalisierung voranzutreiben. Deshalb erstaunte Erdoğans Ausbruch gegen Assad am Dienstag umso mehr.

Schweigen über Aleppo

Es fällt Erdoğan wohl schwer, seiner Klientel zu erklären, dass er angesichts des russisch-syrischen Gemetzels in Aleppo mehr oder weniger schweigt: ein Preis der Versöhnung mit Moskau. Jahrelang stand Aleppo auf der Prioritätenliste Erdoğans ganz oben. Als die Welt um Kobane bangte, wo die Kurden gegen den IS kämpften, appellierte Erdogan, der sich über die Aufmerksamkeit für die Kurden ärgerte, Aleppo nicht zu vergessen. Aus manchen Aussagen Erdoğans konnte man sogar auf türkische Ansprüche auf die einstmals osmanische Stadt schließen. Nicht einmal seine loyalen Leitartikler trugen Erdoğans Aleppo-Abstinenz mit: Al-Monitor zitiert Ibrahim Karagül, Chefredakteur von Yeni Safak, der "bittere Rache" für Aleppo schwor.

Der Krieg geht indessen weiter: Mehrere Rebellengruppen in Aleppo haben einen neuen militärischen Zusammenschluss bekanntgegeben, um ihren Widerstand besser zu koordinieren. Die neue "Aleppo-Armee" wird vom Kommandanten der von der Türkei unterstützten Levante-Front (Jabha Shamiya), Abu Abdul Rahman Nur, angeführt. Gleichzeitig gibt es aber auch Berichte über geheime Treffen zwischen Rebellen und russischen Vertretern in der Türkei, um die Schlacht um Aleppo schneller zu beenden. (Gudrun Harrer, 1.12.2016)