Auf Beobachtungsdaten basierende künstlerische Darstellung des blauen "Ozeans" aus kaltem Gas im Proto-Galaxienhaufen um MRC 1138-262.

Foto: ESO/M. Kornmesser

Wien – Die größten Galaxien im Universum entstehen aus der Verschmelzung kleinerer Galaxien: Anfangs verbinden sich noch Objekte von vergleichbarer Größe, später wirkt der Prozess allmählich einseitig – wenn sich die gewachsene Galaxie dann weitere kleine Nachbarn einverleibt, ist es nämlich schon eher ein Schlucken. Es wird dann gerne von "Kannibalismus" gesprochen.

So jedenfalls lautete die bisher gängige Theorie zur Galaxienbildung. Allerdings hat ein internationales Astronomenteam mit österreichischer Beteiligung Beobachtungen gemacht, die zumindest in einem Fall einen anderen Prozess zeigen. Die Studie über die zehn Milliarden Lichtjahre von uns entfernte, irregulär geformte "Spinnennetz-Galaxie" MRC 1138-262 ist im Fachjournal "Science" erschienen.

Neue Beobachtungen

"Wir gingen bisher davon aus, dass sich diese Supergalaxien im fernen, frühen Universum durch das Verschmelzen kleinerer Galaxien formten, so wie wir es im nahen Universum beobachten können – aber die Sache ist viel komplizierter", sagt Studienleiter Bjorn Emonts vom Centro de Astrobiología in Madrid.

"Wir haben nun mit zwei Radioteleskopen, dem Australia Telescope Compact Array und dem Very Large Array in den USA, die Spinnennetz-Galaxie beobachtet", ergänzt Helmut Dannerbauer. Der Astronom war bis zum Frühjahr an der Universität Wien und hat einen Teil der aktuellen Arbeit noch dort durchgeführt, seither forscht er am Instituto de Astrofísica de Canarias in Teneriffa.

Überraschungen

Dannerbauer hatte vor zwei Jahren mit dem Apex-Teleskop in Chile im Millimeterwellenlängen-Bereich unerwartet viele Sternentstehungsgebiete im Bereich der Spinnennetz-Galaxie entdeckt. Diese gewaltigen kosmischen Baustellen lagen aber nicht dort, wo die Astronomen sie vermutet hatten.

Auch die neuen Beobachtungen überraschten die Astronomen: Es zeigte sich, dass die Spinnennetz-Galaxie in einer kosmischen Wolke aus sehr kaltem Gas liegt. Diese riesige Gaswolke hat rund 100 Milliarden Mal die Masse unserer Sonne und besteht großteils aus Wasserstoffmolekülen, den Grundbausteinen von Sternen und Galaxien. Weil der Wasserstoff nicht so einfach zu beobachten ist, nutzten die Forscher für ihre Beobachtungen das einfacher nachzuweisende Kohlenmonoxid in der Gaswolke.

"Wir haben erwartet, dass das kalte Gas in den verschmelzenden Galaxien zu finden ist", sagte Dannerbauer. Es zeigte sich aber, dass sich die Ansammlungen von kaltem Gas in den weiten Räumen zwischen den Galaxien erstrecken. Die Astronomen gehen nun davon aus, dass die zentrale Supergalaxie ihr Baumaterial nicht von kleineren Galaxien in der Umgebung, sondern direkt aus diesen Gaswolken bezieht und es schließlich zu neuen Sternen verdichtet.

Offene Fragen

Bei dem beobachteten Kohlenmonoxid handelt es sich nach Angaben der Forscher um ein Nebenprodukt einer früheren Generation von Sternen. Die Entstehung der Spinnennetz-Galaxie ist also eine Form kosmischen Recyclings. Woher das kalte Gas stammt und wie es sich im Kern des dortigen Proto-Galaxienhaufens angesammelt hat, ist aber nach wie vor ein Rätsel. (APA, red, 2.12.2016)