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Nicht nur äußerlich glich Lucy vermutlich mehr ihren affenähnlichen Vorfahren als dem modernen Menschen.

Foto: AP / Michael Stravato

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Ihre Knochen verraten auch einiges über ihre Lebensgewohnheiten: Lucys Alltag spielte sich offenbar zu einem großen Teil noch in den Bäumen ab.

Foto: Reuters/John Kappelman/The University of Texas at Austin

Baltimore/Wien – Wann genau die Vorfahren des modernen Menschen von den Bäumen herabgestiegen sind und die Vorteile des aufrechten Gangs zu schätzen gelernt haben, ist unklar. Einige Funde weisen darauf hin, dass sich die Zweibeinigkeit vor rund sechs Millionen Jahren möglicherweise mehrfach unabhängig voneinander entwickelt haben könnte. Fest steht jedenfalls, dass Australopithecus afarensis vor 3,8 Millionen Jahren in Ostafrika bereits aufrecht ging.

Die besten Beweise dafür liefert Lucy. Das berühmte 3,18 Millionen Jahre alte Australopithecus-Fossil wurde vor 42 Jahren in der äthiopischen Afar-Senke entdeckt und repräsentiert eines der ältesten und vollständigsten Skelette einer Angehörigen einer Vormenschenart. Ihre erhaltenen Becken- und Oberschenkelknochen sowie die Form des Fußbettes weisen nach übereinstimmender Ansicht darauf hin, dass Lucy sich auf zwei Beinen fortbewegte.

Boden- oder Baumbewohnerin?

Offen ist dagegen die Frage, ob Lucy den Großteil ihrer Zeit auf dem Boden zubrachte oder immer noch die Bäume als Lebensraum bevorzugte. Einiges würde für Letzteres sprechen. So eignen sich beispielsweise die langen Arme von Australopithecus afarensis ausgezeichnet zum Schwingen durchs Geäst. Einige Paläontologen halten allerdings dagegen, dass dieses Merkmal nicht als Anpassung an die Lebensumstände zu deuten ist, sondern ein evolutionäres Überbleibsel darstellt.

Ein weiteres Indiz dafür, dass Lucy die Bäume zumindest noch nicht gänzlich aufgegeben hatte, lasen US-Forscher zuletzt aus den Brüchen an ihren Knochen. Wie John Kappelman von der Universität Texas in Austin Ende August im Fachblatt "Nature" schrieb, könnte sich Lucy diese bei einem tödlichen Sturz aus großer Höhe zugezogen haben. Der Befund ist jedoch umstritten, da die Knochenbrüche auch post mortem entstanden sein könnten.

Daher hat Kappelman nun gemeinsam mit einem Team um Christopher Ruff von der Johns Hopkins University in Baltimore einen alternativen Weg gewählt, um die Frage nach Lucys Lebensgewohnheiten zu klären. Die Wissenschafter nahmen sich dafür Lucys Gebeine mit modernster Technik vor und erstellten einen hochauflösenden CT-Scann ihres gesamten Skelettes.

Was die Knochen verraten

Bei der Analyse der rund 35.000 virtuellen Schnitte legten die Wissenschafter ihr Hauptaugenmerk auf mechanische Veränderungen der großteils versteinerten Knochenstruktur. Diesem Zugang liegt zugrunde, dass sich Knochen mit den an sie gestellten Anforderungen allmählich verändern: Wo große Kräfte wirken, verstärkt sich ihr innerer Aufbau, weniger belastete Knochen haben dagegen eine geringere Dichte.

Die im Fachjournal "Plos One" präsentierten Ergebnisse ergaben, dass Lucy tatsächlich viel Zeit in luftiger Höhe verbracht haben muss. Besonders die Scans der Oberarme offenbarten eine verstärkte Knochenstruktur, die jener von modernen Schimpansen gleicht. Die im Unterschied dazu weniger ausgeprägten Oberschenkel belegen, dass die meiste Kletterarbeit von den Vorderextremitäten verrichtet wurde. "Die Resultate zeigen außerdem, dass Lucys Gang wohl noch nicht so effizient war wie jener ihrer Nachfahren", meint Ruff. "Dies dürfte ihren Bewegungsradius am Boden erheblich eingeschränkt haben."

Wieviel Zeit Australopithecus afarensis nun tatsächlich in den Bäumen verbracht hat, lässt sich allerdings auch aufgrund der neuen Studie nur schätzen. Wenn Lucy bei einem Sturz gestorben ist, könnte sie sich wie die heutigen Schimpansen während der Nächte in Baumnestern aufgehalten haben, um Feinden zu entgehen. Geht man von einer achtstündigen Nachtruhe aus, könnte Lucy also mindestens ein Drittel des Tages in den Bäumen geblieben sein, vermuten die Forscher. (Thomas Bergmayr, 1.12.2016)