Sozialpsychologe Harald Welzer: "Der mediale Umgang mit Rechtspopulismus ist unklug."

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Video vom Tag eins des Mediengipfels

Mediengipfel Lech

"Die offene Gesellschaft baut auf einem stabilen Rechtsstaat auf, in dem Institutionen sicherstellen, dass niemand die alleinige Macht hat", hat der deutsche Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer am Donnerstag in Lech am Arlberg zur Eröffnung des 10. Mediengipfels betont. Diese Form der Gesellschaft sei nicht nur die freieste in der Geschichte, sondern auch die sicherste.

Die Behauptung, dass die Sicherheit gefährdet sei, sei "Blödsinn", sagt Welzer. Historisch gesehen sei die Zahl der Gewaltopfer konstant gesunken. Das sei der Erfolg einer rechtsstaatlich verfassten Demokratie. Diese Sicherheit sei aber keine Selbstverständlichkeit: "Die Gesellschaft mit kleinstmöglichem Risiko gibt es nur, solange ausreichend Menschen bereit sind, dafür einzutreten."

Aktuell sieht der Welzer eine Verschiebung in der politischen Landschaft, eine Art Regression. Die körperlichen Gefahren für die Bevölkerung würden größer – und sie hätten einen gänzlich anderen Charakter als die Gefahren früherer Zeiten. Welzer spricht von transnationalen Risiken: "Tschernobyl ist ein Beispiel par exellence."

Sagbarkeitsregeln verändern sich

In den vergangenen 30 Jahren habe ein Wandel von der sozialen Marktwirtschaft zu einem neoliberalen Regime stattgefunden. Was derzeit an rechtem Gedankengut propagiert werde, werde gesellschaftlich toleriert. Diese Tendenz hält Welzer für fatal.

Den Grund für den zunehmenden Populismus sieht Welzer in den immer größer werdenden Disparitäten in der Gesellschaft. "Der mediale Umgang mit Rechtspopulismus ist unklug", ist er überzeugt. "Dadurch, dass solche Themen diskutiert werden, werden sie diskursfähig gemacht – die Sagbarkeitsregeln verändern sich."

"Menschen haben ihre Vorurteile gern"

Als Beispiel nennt Welzer – nicht namentlich, aber durchaus deutlich so zu verstehen – die Alternative für Deutschland (AfD): "Plötzlich sind diese Leute Thema, und was sie sagen, erscheint auf einmal als wichtig."

Das sei aber eine falsche Entwicklung, denn aus etlichen Studien der Nachkriegsgeschichte wisse man, dass es lediglich ein Fünftel der Bevölkerung gebe, das Vorurteile habe und rassistisch sei. Das sei ein Sachverhalt, der sich auch nicht ändern lasse. Vorurteile ließen sich nicht negieren, denn "die Menschen haben ihre Vorurteile gern. Sie brauchen sie, um sich in der Welt zu orientieren." Dieses eine Fünftel müsse man zwar akzeptieren, das heiße aber noch lange nicht, dass diese Form der Weltanschauung diskursfähig werde.

Die Hass- und Angstrhetorik sei jedenfalls kein gesamtgesellschaftliches Phänomen, und doch werde nur über dieses eine Fünftel und dessen Inhalte gesprochen. "That makes me mad!", so Welzel.

Eintreten für die offene Gesellschaft gefragt

Von den Medien wünscht sich Welzel ein entschiedenes Auftreten für die offene Gesellschaft. "Wir haben etwas zu verlieren. Die offene Gesellschaft ist das erfolgreichste Projekt der europäischen Nachkriegszeit. Diese Form von Gesellschaft hat es geschafft, die Lebenserwartung um 30 Jahre zu verlängern. Mehr Menschen als je zuvor kommen in den Genuss von höherer Bildung, und niemand wird Opfer von politischer Willkür."

Die fragile Form der offenen Gesellschaft bedürfe der Unterstützung der Bevölkerung. Nachlässigkeit gegenüber der Demokratiegefährdung dürfe nicht zugelassen werden – es brauche "nachhaltige Demokraten". Welzer zitiert dazu Karl Popper: "Hören die Menschen auf, für eine offene Gesellschaft zu kämpfen, ist es mit allem vorbei: mit der Freiheit, mit der Demokratie und mit der Marktwirtschaft." (Lisa Mersin, 2.12.2016)