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Regierungschef Matteo Renzi bangt um seine Reform, die Italiens politisches System völlig umkrempeln würde.

Foto: Reuters / Alessandro Bianchi

Ministerpräsident Matteo Renzi hat es von Anfang an gesagt: Seine Regierung sei dazu da, um in Italien die überfälligen Reformen anzupacken. "Aber wenn die Italiener diese Veränderungen nicht wollen, dann braucht es meine Regierung nicht – dann gehen wir eben wieder nach Hause." Zwar hat der Premier diese Aussage inzwischen etwas relativiert – doch die Möglichkeit einer Regierungskrise in Rom beflügelt die Fantasie von Beobachtern und Experten seit Wochen.

Es sind zum Teil apokalyptische Szenarien, die für den Fall eines Nein an die Wand gemalt werden: Bei Neuwahlen könnte die Protestbewegung von Beppe Grillo gewinnen, die den Austritt aus der Einheitswährung Euro fordert. Dann drohe ein "Italexit" und damit – wegen der hohen Verschuldung Italiens und der Probleme der Banken – möglicherweise eine neue, nie dagewesene Finanzkrise. Wie realistisch ein solches Szenario ist, wird sich erst nach dem 4. Dezember, dem Tag der Abstimmung, zeigen. Vieles aber spricht bereits jetzt dafür, dass die Suppe nicht so heiß gegessen wie gekocht wird.

Szenarien im Nein-Fall

Zunächst einmal aus einem einfachen Grund: Bei einem Nein zur Reform würde sich erst einmal gar nichts ändern. Italien würde in diesem Fall einfach seine bisherige Verfassung und sein bisheriges politisches System beibehalten. Ein Nein zur Verfassungsreform würde zwar das Signal aussenden, dass Italien unreformierbar sei, was die Finanzmärkte nicht mögen – aber neu wäre diese Erkenntnis auch nicht wirklich.

Bei einem Rücktritt Renzis hätte Staatspräsident Sergio Mattarella zwei Möglichkeiten: Er könnte Renzis Demission annehmen, ihn aber mit einer leicht veränderten Regierungsmannschaft gleich wieder ins Parlament schicken, wo sich Renzi einer Vertrauensabstimmung stellen müsste. Ein solches Votum würde Renzi höchstwahrscheinlich gewinnen, da außer den Abgeordneten der Anti-Establishment-Truppe von Beppe Grillo, den "Grillini", und der Rechts-außen-Partei Lega Nord niemand ein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen hat.

Die andere Möglichkeit: Präsident Mattarella beauftragt eine unabhängige Persönlichkeit mit der Bildung einer Übergangsregierung. Neuwahlen könnten frühestens im nächsten Frühjahr stattfinden, wahrscheinlicher wäre aber ein Termin im Herbst 2017.

Renzis Vorgänger als Parteichef des Partito Democratico, Pier Luigi Bersani, weist in Zusammenhang mit eventuellen Neuwahlen auf einen Punkt hin, der von vielen Reformbefürwortern gerne verdrängt wird: Die Gefahr einer Machtübernahme Grillos wäre bei einem Ja nicht gebannt, sondern nur aufgeschoben. Spätestens bei Legislaturende im Jahr 2018 wird nämlich so oder so gewählt, und es gibt nicht die geringsten Anzeichen dafür, dass die populistischen Kräfte in Italien bis dann schwächer werden könnten. In den letzten Umfragen lagen die Reformgegner kurz vor der Abstimmung leicht in Führung. Eine unklare Komponente bleibt allerdings: Etwa jeder sechste Italiener war bis zuletzt unentschieden.

Eine wichtige Unbekannte sind aber auch die Auslandsitaliener: Es handelt sich immerhin um vier Millionen Stimmberechtigte. Es könnte also durchaus sein, dass sie am Ende das Zünglein an der Waage sein werden.

Wahlanfechtung angekündigt

Falls die Reform angenommen würde und dabei die Stimmen der Auslandsitaliener den Ausschlag gegeben haben sollten, dann werde man das Resultat juristisch anfechten, erklärte der Verfassungsrechtler Alessandro Pace Ende November im Namen der zahlreichen Nein-Komitees, die sich gegen die Verfassungsänderung gebildet hatten. Im Ausland seien die Voraussetzungen für eine persönliche, freie und geheime Wahl nicht gegeben; die Abstimmung könnte auf mannigfache Weise manipuliert werden.

Pace bezeichnet Renzis Vorhaben als "eine subversive Reform, die die bisherige Verfassung in die Luft fliegen lässt". Bei einem Ja bekäme das Land ein völlig neues politisches System mit einem Parlament, das faktisch nur noch aus einer Kammer bestünde, in welcher der Regierungschef wegen des ebenfalls neuen Wahlgesetzes künftig immer über eine absolute Mehrheit verfügen würde. "Der Premier wird alles allein entscheiden können, ohne politisches Gegengewicht."

Die Befürchtung der Reformgegner, in den Auslandwahlkreisen könnte es zu Schummeleien kommen, ist durchaus nicht aus der Luft gegriffen. Selbst die im Außenministerium für die Auslandwahlkreise zuständige Botschafterin Cristina Ravaglia hat unlängst gewarnt, dass das System "völlig inadäquat" sei. (Dominik Straub aus Rom, 3.12.2016)