Bern – Das werden Tierschützer nicht gerne hören: Medizinische Tierversuche, die ohnehin nur als notwendiges Übel betrachtet werden, gehorchen offenbar nicht immer den Gesetzen der Wissenschaftlichkeit – was an ihrer Aussagekraft und damit Berechtigung kratzt. Zu diesem Schluss kommen jedenfalls Studien der Universität Bern, die in den Fachjournalen "Plos Biology" und "Plos One" erschienen sind. Unter die Lupe genommen wurden dabei Tierversuchsstudien in der Schweiz.

Wie die zwei schweizweiten Untersuchungen im Auftrag des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zeigen, überschätzt ein Großteil der Forscher die Qualität ihrer Versuchsdurchführung. Zu den Qualitätsstandards zählt unter anderem, die nötige Anzahl an Versuchstieren im Voraus zu berechnen (Stichprobengröße), die Tiere zufällig den Behandlungsgruppen zuzuordnen (Randomisierung) und die Daten verblindet zu erheben, sodass die Experimentatoren nicht wissen, welche Tiere welcher Behandlungsgruppe angehören. "Die Einhaltung dieser Kriterien ist Voraussetzung für unverfälschte, aussagekräftige Ergebnisse", sagte Studienleiter Hanno Würbel von der Uni Bern.

Die Studie

Die Forscher analysierten in einem ersten Schritt 1.277 Anträge für Tierversuche der Jahre 2008, 2010 und 2012 dahingehend, ob es darin Angaben zur Einhaltung der besagten Kriterien gab. Ebenso prüften sie 50 zufällig ausgewählte Publikationen, die aus diesen Anträgen hervorgingen.

In einem zweiten Schritt luden sie alle 1.891 Wissenschafter, die 2013 in der Schweiz an laufenden Tierversuchen beteiligt waren, zu einer Online-Befragung ein. Knapp 30 Prozent davon nahmen teil. Das Ergebnis: Nur in einer Minderheit der Anträge und Publikationen waren konkrete Angaben zur Einhaltung der Qualitätskriterien zu finden. In der Befragung gab jedoch ein deutlich größerer Anteil der Forscher an, diese Kriterien einzuhalten und das in ihren Publikationen auch anzugeben.

Beispielsweise sagten 44 Prozent der befragten Wissenschafter, in ihrer letzten Publikation angegeben zu haben, dass die Versuchstiere zufällig auf Behandlungsgruppen (beispielsweise Wirkstoff und Scheinpräparat) verteilt wurden. Aber nur in 17 Prozent der Publikationen fanden sich tatsächlich Angaben dazu.

Die Interpretation

Das Ergebnis der Online-Befragung und begleitende Interviews mit ausgewählten Forschern deuten auf ein mangelndes Bewusstsein für die Problematik und ungenügende Kenntnisse hin, schrieb die Uni Bern.

"Die zuständigen Tierversuchskommissionen bewerten die Anträge danach, ob der mögliche Erkenntnisgewinn die Belastung der Versuchstiere rechtfertigt", erklärte Würbel. Die Bewilligungspraxis beruhe auf dem Vertrauen, dass die Forscher um Qualitätsstandards guter Forschungspraxis wissen und diese einhalten. "Unsere Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass dieses Vertrauen nicht in allen Fällen gerechtfertigt ist", so Würbel.

Schlüsse

Die Lösung sei allerdings nicht, die Aufgaben der Kommissionen um wissenschaftliche Qualitätssicherung zu erweitern. "Wir schlagen vor, die Antragsformulare um Punkte zur Einhaltung von Kriterien guter Forschungspraxis zu erweitern". So würden die Antragsteller daran erinnert, spezifische Angaben dazu zu machen und diese Kriterien auch einzuhalten.

"Die Verantwortung für gute Forschungspraxis liegt aber bei der Forschungsgemeinschaft und den Ausbildungsstätten", so Würbel. Die Studienautoren plädieren daher für mehr Aus- und Weiterbildungen in Methoden guter Forschungspraxis und wissenschaftlicher Integrität. (APA, red, 10. 12. 2016)