Nähen, meist mit der Maschine, aber auch mit der Hand, gehört zu den Tätigkeiten in der Werkstätte – täglich sechs Stunden lang.

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Wien – Vanessa* sitzt in einem kleinen Zimmer hinter einer Nähmaschine. Gewissenhaft flickt sie das Innenfutter eines hellen Stoffbeutels an die Außenseite mit schwarzem Schriftzug. Jeden Tag beginnt sie um neun Uhr ihre Arbeit in der Textilwerkstätte der Wiener Sozialdienste. Rund sechs Stunden ist ihr Arbeitstag lang, allerdings gibt es viele Pausen. "Die längste Einheit dauert eine Stunde", erklärt Angela Knotz, Leiterin der Tagesstruktur "Handwerk" in Wien-Ottakring.

Die Schneiderarbeit macht Vanessa gerne. Seit November hat sie den Arbeitsplatz. Ein anderer Job kommt für sie aktuell nicht in Frage. Die 25-Jährige leidet am Borderline-Syndrom, einer Persönlichkeitsstörung, die mit starken Stimmungsschwankungen einhergeht. "Ich muss mich konzentrieren und mit den Händen arbeiten. Das hilft mir", sagt die junge Frau.

Voraussetzung "Arbeitsunfähigkeit"

Liegt wie bei Vanessa eine befristete oder unbefristete "Arbeitsunfähigkeit" vor, kann in Wien ein Antrag auf einen Platz in einer Tagesstruktur gestellt werden. Wird dies genehmigt, kann aus 20 Trägerorganisationen und 100 Standorten, die der Fonds Soziales Wien (FSW) listet, gewählt werden. "Jeder Träger hat eine Hauptzielgruppe", sagt Knotz. Bei ihrer Organisation sind dies Menschen mit psychischen Erkrankungen und Intelligenzbehinderungen.

"Wir haben ganz verschiedene Klienten", schildert Knotz. Menschen, die entweder noch nie im Arbeitsprozess waren, weil die Krankheit schon sehr früh ausgebrochen ist, aber auch solche, die lange Arbeitserfahrung oder ein abgeschlossenes Studium haben und im höherem Alter einen Unfall, Schlaganfall oder eine schwere psychische Krise erleiden.

Verschiedenste Bedürfnisse

Selbst bei gleicher formaler Diagnose hätten Menschen voneinander abweichende Krankheitsbilder. "Unsere Klienten haben sehr verschiedene Bedürfnisse", erklärt Knotz. Auf diese werde in der Tagesstruktur eingegangen.

Wichtig sei der geregelte Alltag, darum wird auf Pünktlichkeit viel Wert gelegt. Was in den Werkstätten gearbeitet wird, ist je nach Lust und Fertigkeit verschieden. "Wir haben eine Liste, wer die Geräte benutzt", erzählt Heinz. Der 35-Jährige ist in der Holzwerkstatt tätig. Keramik- und Papierarbeiten werden ebenfalls angeboten. Auch eine Stichsäge gibt es: "Wenn es einem einmal nicht gut geht, ist es besser, wenn er sie nicht verwendet", sagt Knotz.

Druck im Job als Problem

Heinz lebte von klein auf in Heimen und kam später zu Jugend am Werk. Auch in privatwirtschaftlichen Tischlereien hat er gearbeitet. "Ich kam mit dem Druck nicht ganz klar", sagt er. Seine Kollegen hätten Probleme gemacht. "Ich wurde wegen meiner Krankheit oft komisch behandelt", sagt er. "Ein Problem sind die Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft", sagt Leiterin Knotz: "Unsere Klienten können sich oft weniger gut konzentrieren, auch die Aufmerksamkeitsspanne ist oft kürzer. Das heißt aber nicht, dass sie keine tollen Leistungen vollbringen können."

Laut FSW arbeiten in Wien momentan rund 4400 Menschen in einer Tagesstruktur. Ziel sei es, so ein Sprecher, "Menschen mit Behinderung eine sinnvolle Beschäftigung zu ermöglichen und psychische und physische Fähigkeiten zu erhalten und auszubauen". Für die handwerkliche Arbeit bekommen Klienten eine Leistungsanerkennung. Die Höhe hängt von der ausgeübten Tätigkeit und dem Grad der Behinderung ab. Sie wird von den Trägern individuell bemessen. Bei "Handwerk" beträgt sie 40 Euro pro Monat.

Staatliche Sozialgelder

Das Entgelt sei so gering, weil Personen in der Tagesstruktur nicht als erwerbsfähig gelten und daher zumeist staatliche Sozialleistungen beziehen, heißt es beim FSW. Junge Menschen mit Behinderung würden vielfach in Angeboten der Berufsqualifizierung auf den Jobmarkt vorbereitet: "Es ist aber sehr schwierig, sie auf dem Arbeitsmarkt in sozialversicherungspflichtige Dienstverhältnisse zu bringen." Das, obwohl der FSW Firmen, die Menschen mit Behinderung anstellen, Lohnkostenzuschüsse bezahlt. In Summe 2,8 Mio. Euro jährlich. (Oona Kroisleitner, 3.12.2016)