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Die Arabische Oryxantilope galt in ihrer Heimat als ausgestorben. Auf der Insel Sir Bani Yas vor Abu Dhabi wurde sie wieder erfolgreich angesiedelt.

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Für die Giraffen und Antilopen mussten im Wüstensand Wildfütterungen eingerichtet werden.

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Und sind die Antilopen satt, freut das auch die Geparden.

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Wo sonst kann man zu einer Safari durch die Fauna dreier Kontinente aufbrechen?

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Die Hoffnung war schon dahin, Gibs und Gabriel heute noch zu Gesicht zu bekommen. Ein Funkspruch hat alles geändert. Die beiden wurden im Osten der Insel gesichtet. Jetzt heißt es Gas geben, denn die Sonne hat ihren Abschied eingeläutet, und in der Dunkelheit hat man keine Chance, die Geparden aufzuspüren. Während der Jeep über die Sandpiste rast und die Insassen Arabische Oryxantilopen, australische Emus und marokkanische Bergschafe beobachten, klicken sie sich noch mal durch die Bilderflut auf der Kamera: Flamingos, Pfaue und Strauße sind darauf zu sehen – auch zwei Giraffen mitten in der sandigen Landschaft.

Insel, Wüste und australische Tiere neben afrikanischen? Der Jeep braust quer durch Sir Bani Yas, ein 87 Quadratkilometer großes Eiland vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate, rund 250 Kilometer westlich der Hauptstadt Abu Dhabi. Es ist ein einzigartiges Naturreservat mit rund 15.000 Tieren. Viele von ihnen hätten keine Chance, ohne menschliche Hilfe in der Wüstenregion zu überleben.

Privater Rückzugsort

Der Grund, warum sie hier sind, fußt auf einer skurril anmutenden Geschichte: Scheich Zayid bin Sultan Al Nahyan, Staatsgründer der Vereinigten Arabischen Emirate, bekam während seiner Zeit als Präsident viele exotische Tiere als Geschenk von anderen Herrschern. Er wollte sie nicht zurückweisen, die Lamas, Giraffen und Antilopen, aber auch nicht einfach in einen Zoo stecken, sondern ihnen so viel an natürlichem Lebensraum geben, wie es in seinem Land möglich ist. Also initiierte er vor rund 40 Jahren auf Sir Bani Yas, der größten naturbelassenen Insel der Emirate, dieses Wildlife-Projekt und schuf sich damit einen privaten Rückzugsort. Nach dem Tod Zayids im Jahr 2004 begann dann der systematische Ausbau zum Besucherpark.

Am frühen Morgen und am späten Nachmittag starten die geführten Spaziergänge und Safari-Fahrten. Im offenen Jeep, so wie man es aus Afrika kennt, geht es durch das Reservat. Nun halten die Teilnehmer Kurs auf die Geparden, düsen an alten islamischen Friedhöfen, Ausgrabungsstätten und den Ruinen eines christlichen Klosters vorbei. Der Ranger bemüht sich, vom Lenkrad aus Informationen nach hinten zu brüllen. Oft kommen nur Wortfetzen an. Die Fahrt ist rasant, und ebenso schnell rattern Gedanken und Fragen zu dieser Insel durch den Kopf: Was haben Weihrauchbäume neben Mangroven und schattenspendenden Schirmakazien zu suchen?

Fruchtbare Feldversuche

Unglaubliche drei Millionen Bäume unterschiedlichster Provenienz hat man in den vier Jahrzehnten in den Inselsand gepflanzt. In abgetrennten Bereichen laufen Feldversuche mit Erdbeerplantagen, Oliven und Zitronenbäumen, an denen tatsächlich saftige gelbe Früchte hängen. Wissenschafter wollen herausfinden, ob es Möglichkeiten gibt, in der Wüste Landwirtschaft zu betreiben. Schließlich muss man in den Emiraten, abgesehen von Datteln und Kamelmilch, sämtliche Nahrungsmittel importieren. Man hat sogar Erde und Gesteinsproben aus Europa und Afrika herübergeschifft. Vor der Küste laufen Untersuchungen, wie man Inseln und Festland vor Unwettern, Sturm und Erosion schützen kann. Sir Bani Yas ist das vermutlich größte Versuchsobjekt dieser Art weltweit, doch die wichtigsten Projekte sind tierischer Natur.

Auf der Insel leben gut 400 Arabische Oryxantilopen, sie stellen die größte Herde ihrer Art weltweit dar. Die Begegnung mit den stolzen Tieren in der kargen Landschaft der Insel ist deswegen kein seltenes, aber dennoch ein besonderes Erlebnis. Mit ihren bis zu 70 Zentimeter langen, nur leicht gekrümmten Hörnern strahlen die Tiere etwas Majestätisches aus. Das weiße Fell wirkt edel, rein, und die dunkelbraune Gesichtsmaske verleiht ihnen etwas Rätselhaftes.

Die Geparden loslösen

Vor einem knappen Jahrhundert waren alle wild lebenden Arabischen Oryxantilopen in ihrer Heimat ausgerottet. Scheich Zayid ließ einige der letzten Exemplare aus den USA einfliegen und startete ein Zuchtprogramm zur Erhaltung. Rund 200 Tiere konnte man in den vergangenen Jahren in die Wildnis der Emirate entlassen, ihr Status auf der sogenannten Roten Liste wurde von "stark gefährdet" auf "gefährdet" herabgestuft.

Mehr als 30 unterschiedliche Tierarten leben auf Sir Bani Yas unter der Aufsicht von Veterinären und Pflegern in unterschiedlichen, in durch Zäune getrennten Zonen. Weil sich vor allem die Gazellen ohne natürliche Feinde ungebremst vermehrten, ordnete die Parkverwaltung vor einigen Jahren die "natürliche" Auslese an und brachte Geparden und Hyänen auf die Insel. Jeder Einführung einer neuen Art geht ein einjähriger Quarantäne-Prozess voraus. Die Geparden bekamen in dieser Zeit Nachwuchs und gelten seither als habituiert. Die Teilnehmer der Safari haben sie aber immer noch nicht zu Gesicht bekommen.

Selbstversorger

Der Wettlauf mit der Sonne scheint fast verloren, als der Ranger durch sein Fernglas blickt und aufschreit. Er hat das Brüderpaar Gibs und Gabriel gesichtet, muss nun schnell mit dem Jeep an sie rankommen. Kann ja sein, dass sie noch hungrig sind und gleich wieder auf Jagd gehen wollen. Die beiden Geparden sind schließlich Selbstversorger – im Gegensatz zu den meisten anderen Tieren.

Was auf der Insel wächst, reicht nicht für tausende Antilopen und Gazellen. Zusätzliches Gras kommt von der Nachbarinsel Delma, Pfleger versorgen auch die stattliche Herde von 50 Giraffen an Futterstellen, damit sie die Bäume nicht kahlfressen. Der Aufwand für all das ist enorm, und vor allem der Wasserverbrauch ruft Kritiker auf den Plan. Es gibt keine genauen Zahlen, aber man kann sich vorstellen, welche Mengen nötig sind, um allein drei Millionen Bäume mittels tausender Kilometer Leitungen zu versorgen.

Besondere Morgen- und Abendstunden

Große Schiffe mit Wasserladungen befüllen die fünf großen Tanks der Insel, deren Volumen jeweils einem olympischen Schwimmbecken entspricht. Seit ein paar Jahren gibt es zusätzlich Meerwasser-Entsalzungsanlagen, und immerhin wird auch das Abwasser des Desert Island Resorts, das aus drei Hotelkomplexen besteht, verwendet. Der touristische Ausbau schreitet stark voran.

Seit November 2016 ankern zudem Kreuzfahrtschiffe an einer zum Landungssteg ausgebauten Sandbank, darunter auch die XXL-Liner von MSC und Costa. Die Gäste dürfen allerdings nicht auf eigene Faust auf Sir Bani Yas herumspazieren und sollen bei Ausflügen nur bestimmte Areale des Tierreichs zu Gesicht bekommen. Ein Nachmittag reicht sicher nicht aus, um das spezielle Flair dieser Insel zu erleben, auf der auch Falken-Shows, Mountainbike-Touren und Dinner im Wüstensand angeboten werden. Intensiver erleben kann die Insel, wer als Gast eines der Resorts mindestens zwei Nächte bleibt und so die besondere Morgen- und Abendstimmung genießt.

Gerade auf Sir Bani Yas zeigt sich, dass auch das flächenmäßig größte Emirat die langsam versiegenden Öl- durch andere Geldquellen ersetzen muss. Man erhofft sich einiges vom Tourismus, der in der Hauptstadt Abu Dhabi dank Wolkenkratzern, Vergnügungsparks und Luxushotels schon seit einigen Jahren boomt. Aber man bietet ja auch einiges: Wo sonst können Kreuzfahrtpassagiere zu einer Safari durch die Fauna dreier Kontinente aufbrechen? (Christian Schreiber, Rondo, 3.1.2017)