Szenische Botschaften aus jener fernen Zeit, als in Hosen noch reichlich Platz für was auch immer war: Der Sänger Ambrogio Maestri (als Falstaff) an der Wiener Staatsoper.

Foto: Staatsoper

Wien – Als Zubin Mehta 1993 Giuseppe Verdi an der Wiener Staatsoper dirigierte, war Thomas Klestil Bundespräsident, die Bühne zeigte eine zerfallene Wiener Staatsoper, und es wurde aus Troubadour (in der Regie von Filmer István Szabó) einer der Premierenskandale der Ära Ioan Holender. Bei seinem nunmehrigen Aufeinandertreffen mit Verdi hat Mehta, der heuer seinen 80er feierte, Tumulten quasi vorgebeugt. Er wünschte, Falstaff einmal im Leben sehr historisch kostümiert zu erleben. Es schwebten ihm das 15. und 16. Jahrhundert vor, und Regisseur David McVicar konzipierte dem Wunsch entsprechend.

Die Kostüme einer Inszenierung entscheiden natürlich nicht über die Qualität einer Regie. Fulminante Ideen und prickelndes Musiktheater sind auch in Blähhosen möglich. Auf der Bühne der Wiener Staatsoper ist allerdings nicht nur kein kühn-modernes Deutungsexperiment zu bestaunen. Die Inszenierung hängt dem Werk vielmehr wie ein schlafender Vogel um den Hals, der alle Konventionen des altehrwürdigen Rampentheaters herbeiträumt ...

In seiner Holzhütte (Bühnenbild: Charles Edwards) ist Falstaff denn auch vor allem ein wackerer Renaissancekämpfer gegen Schwerkraft, Pleitegeier und die Sünde der Enthaltsamkeit. Von seinem riesigen Bett aus, in dem sich eine treue Freundin räkelt, müht sich der Lebemann zum länglichen Sauf- und Esstisch, an dem er erschöpft zu verschnaufen geruht. Er ist quasi der König ohne Hose und Land, aber ein Monarch mit Hoffnung, die bei Falstaff ja nie stirbt: Sir John wähnt sich im Besitz des Wortschlüssels zum Herzen zweier Damen, wodurch sich später auch Geldtruhen leichter öffnen lassen sollten.

Ambrogio Maestri balanciert routiniert durch ein Museum der alten Späße. Er war ja schon vor nicht allzu vielen Jahren im sommerlichen Salzburg der Ritter von der deftigen Gestalt. Und: Regisseur Damiano Michieletto hatte Maestri mit Charme zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Charakter animiert. Hier landet der Falstaff unserer Tage jedoch – klar und gediegen singend, ohne aber das gewisse imposante Etwas zu liefern – unterfordert im Erwartbaren. Er entschwebt am Ende im Wäschekorb (aus dem er zuvor in den Fluss gekippt wurde) gen Himmel. Auch diese Schlusspointe hat in ihrer schüchternen Durchführung etwas Mutloses.

Direktor erleichtert

So ist in diesem Ringelspiel des Erprobten eher eines "Unersättlichen Zähmung" zu erleben und weniger seine Entfesselung. Immerhin aber wird in einer Art gesungen, die etwas über die szenischen Plattheiten tröstet: Ludovic Tezier (als eifersüchtiger Ford) gebührt zwar der Preis für die beste Abenddarstellung einer reglosen Opernskulptur. Seine edle Stimme jedoch verfügt über Schmelz und jene Robustheit, die hilft, die vokale Botschaft auch hörbar zu machen.

Schönklang kam auch von Carmen Giannattasio (als Alice Ford), solide das Ensemble, also Marie-Nicole Lemieux (als Mrs. Quickly), Hila Fahima (als Nannetta) Thomas Ebenstein (als Dr. Cajus), Paolo Fanale (als Fenton), Lilly Jörstad (als Meg Page) und Riccardo Fassi (als Pistola).

Zubin Mehtas Dirigat ließ die Feinheiten der Partitur leider nur erahnen. Kollektive Akzente kamen etwas forsch und zu wild daher, der Rest war ein Abschnurren der Musik ohne Zufügung markanter Momente.

Allerdings schien es ein Abend der Milde zu sein. Vielleicht waren alle durch das Warten auf das Ergebnis der Präsidentschaftswahl erschöpft und letztlich durch das Ergebnis versöhnlich gestimmt. Jedenfalls wurden keine Buhs für niemand hörbar.

Erleichterung also – aus einem speziellen Zusatzgrund wohl – auch bei Staatsoperndirektor Dominique Meyer: Er hatte ja bekundet, zurückzutreten, falls Norbert Hofer Präsident würde. (Ljubisa Tosic, 5.12.2016)