Deferent und Epizykel nach Ptolemäus.

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Künstlerische Darstellung der Planeten des Sonnensystems. Erst Kepler gelang es, sich vom Dogma der kreisförmigen Umlaufbahnen zu lösen.

Illustration: Nasa

Die Epizykeltheorie steht heute exemplarisch für schlechte Wissenschaft. Wann immer jemand der Meinung ist, eine wissenschaftliche Theorie sei viel zu komplex geworden und werde nur noch um ihrer selbst Willen betrieben, dann wird auf die alte Beschreibung der Planetenbewegung durch Epizykel verwiesen. Wenn Kritiker denken, Wissenschafter seien nur noch daran interessiert, ihre alten Ideen zu retten, anstatt sich mit neuen Gedanken auseinanderzusetzen, werden die Epizykel ins Feld geführt.

Das hat die antike Lehre über die Bewegung der Planeten allerdings nicht verdient. Sie ist zwar falsch, aber keinesfalls das gute Beispiel für schlechte Wissenschaft, als das sie immer wieder herhalten muss.

Die Erde im Zentrum

Wer genau der Urheber der Epizykeltheorie ist, lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen. Wahrscheinlich geht sie auf die Arbeit des im dritten Jahrhundert vor Christus lebenden griechischen Mathematikers Apollonios von Perge zurück. Er und seine Nachfolger standen vor dem Problem, zwei grundlegende Beobachtungen in Einklang bringen zu müssen.

Einerseits waren da die Planeten, deren Bewegung man am Himmel beobachten konnte. So gut wie immer verlief sie von Westen nach Osten, aber manchmal auch wieder ein Stück rückwärts von Osten nach Westen. Andererseits sah man auch die Sterne, die Sonne und den Mond sich um die Erde herum bewegen, während keine Beobachtung darauf hindeutete, dass sich die Erde selbst bewegen würde. Es war also nur logisch, davon auszugehen, dass die Erde sich unbewegt im Zentrum des Universums befand und sich der Rest der Himmelskörper um sie herum bewegte.

Notwendige Verfeinerungen

Auf simplen Kreisbahnen konnten sie das aber nicht tun. Denn das widersprach den Beobachtungen: Nicht nur bewegten sich die Planeten eben manchmal rückwärts, sie waren auch zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich schnell unterwegs.

Die Lösung für dieses Problem waren die Epizykel. Man beschrieb die Bewegen der Planeten nicht einfach entlang eines Kreises, sondern entlang eines Kreises, dessen Mittelpunkt sich entlang eines größeren Kreises bewegt. Und erst im Mittelpunkt dieses größeren Kreises, des sogenannten Deferenten, befand sich die Erde.

Mit diesem Modell konnten die unterschiedliche Bewegungsgeschwindigkeit und die Richtungswechsel der Planeten erklärt werden. Allerdings nicht perfekt, denn es gab immer noch Unterschiede zwischen Beobachtung und Theorie. Also verfeinerte man das Modell: Man führte weitere, ineinander verschachtelte Epizykel ein. Man rückte die Erde ein wenig aus dem Mittelpunkt des Deferentenkreises heraus. Und so ging es immer weiter. Die Epizykeltheorie wurde genauer, aber auch immer komplexer.

Kopernikus und Kepler

Bis im 16. Jahrhundert dann Nikolaus Kopernikus kam und durch das heliozentrische Weltbild die alten Epizykel mit einem Schlag abschaffte! Das wird zumindest oft behauptet, ist aber trotzdem falsch. Ja, sein Modell, bei dem sich die Sonne im Mittelpunkt des Universums befand und die Erde sich mitsamt der anderen Himmelskörper um sie herum bewegte, war tatsächlich simpler. Aber die Unterschiede zwischen Beobachtung und Theorie verschwanden nicht so einfach.

Das neue Weltbild war nicht genauer als das alte. Und so kam auch Kopernikus bei seinem sonnenzentrierten Modell nicht ohne Epizykel aus. Der große Durchbruch gelang erst Johannes Kepler. Im Gegensatz zu Kopernikus konnte er sich vom Dogma der kreisförmigen Umlaufbahnen lösen. Seine Beschreibung der Bewegung der Himmelskörper entlang elliptischer Orbits machte die Epizykel dann tatsächlich unnötig.

Zunehmende Komplexität

Im Laufe der Zeit haben sich um Keplers ursprüngliche Theorie aber wieder jede Menge neue Schichten an Komplexität gebildet. Seine simplen Ellipsen reichen längst nicht mehr, um mit der Genauigkeit der Beobachtungsdaten Schritt zu halten. Man muss die komplizierten gravitativen Wechselwirkungen zwischen den Planeten berücksichtigen, den Einfluss der gekrümmten Raumzeit im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie, manchmal auch nichtgravitative Kräfte wie den Strahlungsdruck der Sonne. In der modernen Himmelsmechanik sind die Umlaufbahnen der Planeten weder ineinander verschachtelte Kreise und Epizykel noch Ellipsen, sondern höchst komplexe und sich ständig verändernde Strukturen, die durch simple geometrische Figuren gar nicht mehr beschrieben werden können.

In gewissem Sinne ist die moderne Astronomie also deutlich komplizierter, als es die Epizykel der Antike waren. Und den schlechten Ruf, den die verschachtelten Kreise heute haben, haben sie definitiv nicht verdient. Im Rahmen der damals vorhandenen technischen Möglichkeiten und des allgemeinen Wissensstandes waren sie ein höchst erfolgreiches Modell zur Beschreibung des Kosmos. Ein falsches Modell zwar, wie sich herausgestellt hat. Aber eines, das lange genug ausreichend genau funktionierte.

Es ist nicht immer angebracht, einem wissenschaftlichen Modell seine Komplexität vorzuwerfen. Natürlich ist ein einfaches Modell einem komplizierten vorzuziehen – aber nur dann, wenn beide gleich gut in der Lage sind, die Realität zu beschreiben. Wir dürfen aber nicht darauf beharren, dass ein "richtiges" Modell auch immer einfach zu sein hat. Das wäre zwar schön, aber das Universum ist leider nicht verpflichtet, einfach zu sein. Manchmal braucht es eben auch Epizykel. (Florian Freistetter, 6.12.2016)