Chris Mannel war am schnellsten. Und er fasste die Botschaft auch am kompaktesten zusammen: "Eine Gore-Membran in Laufschuhen macht nur Sinn, wenn es nass und kalt ist", schrieb der Geschäftsführer der Oberalp-Gruppe in Österreich. Zu Oberalp gehören unter anderen Dynafit und Salewa. Davon, dass Mannel weiß, wovon er spricht, kann man also ausgehen. Auch davon, dass seine Erklärungen Hand und Fuß haben: "Weil: wenn nass + warm = schwitzt zu viel = nass von innen = kontraproduktiv. Wenn nicht nass = überflüssig (Da die Modelle mit Goretex-Membran ja auch etwas schwerer und etwas unflexibler sind als Non-Gore-Modelle). Brauchst noch mehr?"

Eigentlich nicht. Zumindest dann nicht, wenn man nur eine klare, knappe, technisch einwandfreie Antwort auf jene Frage sucht, die alle Jahre wieder in Laufforen und -gruppen im Web aufpoppt, sobald es nass, gatschig und tendenziell unwirtlich wird: Mit welchen Schuhen läuft man da eigentlich am besten?

Im anonymen Ketten-Sportgeschäft bekommt man da klare Anweisungen: "Nehmen Sie den. Der hat Goretex", lautet die Standardantwort. Und falsch ist sie ja auch nicht. Bis auf einen Schönheitsfehler: Es gibt nämlich keine Standardantworten.

Deshalb habe ich die Frage weitergegeben. An Händler, Hersteller und Experten: "Wann brauche ich zum Laufen einen folierten Schuh?"

Foto: Thomas Rottenberg

Unmittelbar nach Mannel antwortete auch Michael Költringer. Költringer ist bei Dynafit fürs Brandmarketing zuständig. Er führte Mannels Kurzerklärung genauer aus: "Damit die mikroporöse Struktur der Membran in der Outdoor-Bekleidung ihre volle Funktionalität entfalten kann, müssen bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt sein: Nur wenn die Außentemperatur mindestens 15°C niedriger liegt als die Temperatur in Jacke, Hose oder Schuhen, ist der notwendige osmotische Druck vorhanden. Bei einer geringeren Temperaturdifferenz kann weniger Wasserdampf durch die Poren abtransportiert werden."

Das, betonte der Dynafit-Mann, stamme aber nicht von ihm – sondern aus dem deutschen Outdoor-Fachmagazin "bergfreunde.de". Freilich: Es gibt auch andere Membranen, die ähnlich bis gleich trocken wie Goretex halten. Der Einfachheit halber – und zum Unmut der Hersteller – sagt aber fast jeder fast immer einfach "Goretex", sobald es um Membranen geht. Bleiben wir auch hier bei dieser Sprachregelung.

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Freilich: Ob man im Herbst und im Winter ohne Folienschuhe am besten gar nicht laufen geht, beantworten technische Erklärungen halt nicht. Darum freute ich mich, als mir Michael Wernbacher schrieb. Wernbacher betreibt mit dem "We Move – Runningstore" einen der dreieinhalb Laufschuhshops in Wien, die diesen Namen tatsächlich verdienen. "Gore ist nicht warm, sondern hält nur trocken, da zu 100 Prozent wasserdicht", startete auch Wernbacher mit den Basics – um dann auf einen "Bug" vieler folierter Schuhe hinzuweisen: "Gore-Schuhe müssen immer auch eine seitlich nach oben geschlossene Lasche – also eine seitlich vernähte Zunge – haben. Bei trockener, warmer Witterung kann (durch das Dichtsein des Materials, Anm. TR) aber starkes Schwitzen auftreten."

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Einen auch von Mannel zumindest angedeuteten Kritikpunkt sieht der Händler indes heute nicht. Signifikant steifer als nichtfolierte Schuhe seien die Winterpatschen nicht mehr: "Mittlerweile ist die Membran so gut im Obermaterial des Schuhs verarbeitet, dass dadurch keine Beeinträchtigung im Bewegungsablauf oder bei der Passform auftritt: Unsere Tests waren sehr zufriedenstellend."

Wovor Wernbacher allerdings warnt, sind Schuhe, die einfach nur foliert, aber eben nicht wasserdicht sind: So ein Laufschuh "gilt nicht als wasserdicht, da die Lasche lose ist. Ich war beim Test mit solchen Schuhen immer unangenehm nass. Ich habe keine Ahnung, warum man so was macht: Beim Kunden darf da keine dementsprechende Erwartungshaltung erzeugt werden."

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Auch im zweiten der dreieinhalb Wiener Laufschuhshops, bei Run Inc, ist der Winterschlapfen derzeit wieder Thema. Run-Inc-Hardwareexperte Alfred Darabos hat dazu auf dem hauseigenen Schuhblog aus einer ganz anderen Perspektive als aus der der Gore-Membran geschrieben: Schlechtwetterschuhe sind für ihn die "Winterreifen" des Läufers. Und die haben ja nicht nur bei Eis und Schnee aufgrund des besseren Grips ihre Existenzberechtigung, sondern auch wegen des auf tiefere Temperaturen optimierten Gummigemischs und der damit verbundenen längeren Haltbarkeit bei unwirtlichen Bedingungen. Darabos warnt insbesondere vor dem rascheren Verschleiß des Innen- und Obermaterials, wenn der Schuh öfter nass wird.

Die Frage nach der Folierung taucht im Run-Inc-Blog da nur am Rande auf. Und auch als wir telefonierten, referierte Darabos vor allem über Grip und Rutschfestigkeit: "Natürlich ist für viele Läufer ein wasserfester Schuh angenehm, wenn es plötzlich – so wie zuletzt beim Adventlauf in Mödling – zu schütten beginnt. Aber im Wettkampf bevorzugen die schnellen Läufer dann doch meist leichtere und flexiblere Schuhe ohne Membran."

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Eine Diskrepanz, die sich auch in der Antwort von Niklaus Roschek wiederfindet. Roschek arbeitet in der Kommunikations- und PR-Abteilung von Scott und hat sein Hauptaugenmerk dort auf das Laufportfolio gerichtet: "Unsere Schuhe mit Gore-Membran richten sich vor allem an Läufer, die im Winter bei nasskaltem Wetter unterwegs sind und die ihre Füße mit einer atmungsaktiven Membran warm und trocken halten möchten." So weit, so bereits bekannt und gesagt.

Ein wenig mehr aus dem Nähkästchen ist aber der zweite Teil der Antwort aus der Schweizer Sportartikelzentrale. Da geht es nämlich um den Unterschied zwischen Jedermann/frau-Läufern und der Elite: "Unsere Athleten geben uns immer wieder das Feedback, dass sie bei ihren Rennen und Wettkämpfen keine folierten Schuhe brauchen – daher hat unser neuer Sky- und Mountainrunning-Schuh für 2017 auch keine Membran bekommen."

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Scott hat das Laufrad da aber nicht neu erfunden, sondern ist ziemlich genau dort, wo auch Salomon steht: Die französische Brand ist wie Scott traditionell eher im Trail- und Geländelauf zu Hause, versucht aber seit ein paar Jahren auch am Asphalt Fuß zu fassen. Doch weder am Trail noch auf der Straße könne man für alle immer gültige Antworten geben, schreibt Salomon-Running-Sprecher Florian Wieshofer: "Jeder Läufer muss für sich entscheiden, ob er wasserfeste oder wasserabweisende Schuhe benötigt. Dies hängt auch von Faktoren wie Distanz, Performance und Komfort ab. Läufer mit hohem Leistungsniveau bevorzugen meist Schuhe ohne Membran, da ihnen Gewicht und weicheres Abrollverhalten wichtiger sind als Schutz vor Nässe und warme Füße. In diesem Fall ist eine Membran überflüssig."

Ähnlich wie Darabos will Wieshofer den Fokus lieber auf andere Aspekte des Herbst- und Winterlaufens richten: "Ich würde zuerst auf guten Grip setzen. Der zweite große Punkt ist optimale Passform, die vor allem bei nassem Untergrund noch größere Bedeutung hat, um Verletzungen zu vermeiden."

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Apropos Verletzungsprophylaxe: Da spielt vor allem die richtige Lauftechnik eine essenzielle Rolle. Und der, erklärt meine Trainerin Sandrina Illes, könne man mit dem falschen Schuh – oder einem Schuh, der nicht tut, was man von ihm erwartet – leicht und ohne es zu bemerken ein Schnippchen schlagen. Illes ist auch Laufanalytikerin – und steht nicht zuletzt deshalb folierten Schuhen sehr skeptisch gegenüber: "Ich halte gar nix davon. Damit die Membran nicht einreißt (vorne beim Ballenbiegepunkt, also im Vorfußbereich), sind alle mir bekannten Modelle extra versteift. Zum Beispiel haben gleichnamige (!) Modelle mit und ohne Gore-Tex-Membran unterschiedlich steife Sohlen. Das ist sicher ein Mitgrund, warum dann "gerne" im Winter diverse Achillessehnenprobleme gehäuft auftreten, ohne dass den Sportlern bewusst ist, was sie verändert hätten. Oft sind es die im Schnitt steiferen Schuhe. Solange der Schuh nicht wirklich gut beweglich ist: Finger weg!"

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Die Angst vor erfrorenen Zehen, meint Illes, werde in der Regel nämlich überbewertet: "Beim Laufen hab ich seltenst (nicht nie, aber fast nie) an den Füßen gefroren. Wenn man so extreme Winter-Schneematsch-Geschichten macht, würde ich dann eher auf Neoprensocken oder so was in der Art zurückgreifen. Die habe ich selbst zwar noch nie getestet, aber billiger als Schuhe sind sie auf alle Fälle."

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Die von Illes angeschnittene Sockenfrage wird sonst gern übersehen. Sowohl von Händlern als auch von Herstellern. Wobei: Nicht von allen. Denn Bernadette Dües, bei Asics für Schulungsprogramme zuständig, legt in der Antwort des (nach eigenen Angaben) Laufschuh-Weltmarktführers im Segment der Hobbyläufer genau darauf ihr Augenmerk: "Wichtig ist zu beachten, dass Socken getragen werden, welche den Schweiß der Füße rasch aufnehmen und abtransportieren, sodass die wasserdampfdurchlässige Membran optimal arbeiten kann. Es empfehlen sich Socken mit einem sehr niedrigen Anteil an Baumwolle, da Baumwollfasern zwar die Eigenschaft besitzen, Schweiß schnell aufzunehmen, diesen jedoch im Kern speichern und somit ein feuchtes Klima im Schuh fördern."

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Falls Sie nun ein Fazit – die definitive, die endgültige Antwort – erwarten, muss ich Sie enttäuschen: Die gibt es nicht.

Auch für mich selbst nicht. Außer Sie akzeptieren "es kommt drauf an" als Antwort: Als ich vor ein paar Wochen mit Sigrid Huber, der Herausgeberin von "Trailrunningszene Österreich" in Bad Leonfelden eine Gatschrunde auf den Sternstein gemacht habe, griffen wir beide unabgesprochen zu leichten, nicht folierten und kaum gedämpften Trailschuhen. Kalte Füße, so Huber, seien beim zügigen Laufen für sie kein Thema: "Wir laufen ja!" Auch nasse Zehen stören dann kaum – solange sie halt nicht kalt werden.

Gleichzeitig gilt aber auch: Wenn ich nur locker trabe, immer wieder für Fotos stehenbleibe und von vornherein weiß, dass ich irgendwo Steh- oder Wartezeiten (und sei es auf den Bus beim Heimfahren) haben werde, tausche ich Dynamik & Leichtigkeit gerne gegen Wärme & Komfort ein.

Nur: Diese Entscheidung muss ich jedes Mal aufs Neue treffen. Mit dem Risiko, danebenzuhauen. Obwohl "danebenhauen" relativ ist. Denn: Wenn ich draußen bin, laufe ich. Und wenn ich laufe, bin ich glücklich – und nur das zählt. (Thomas Rottenberg, 7.12.2016)

Mehr Geschichten vom Laufen bei Nässe und Kälte gibt es unter derrottenberg.com.

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