Wien – Selbst Verteidiger Robert Pohle sieht für seine Mandanten Hossein G. und Maissam S. schwarz. "Eine Resozialisierung setzt voraus, dass es schon eine Sozialisierung gegeben hat. Das hat hier nicht stattgefunden", sagt er über die beiden Angeklagten.

Sein Kollege Martin Mahrer, der Mohammad S. vertritt, ist etwas optimistischer und fragt den Schöffensenat unter Vorsitz von Norbert Gerstberger, was man zur Resozialisierung beitragen könnte. Eine Antwort ist schwer.

Die zum Tatzeitpunkt im April zwischen 16 und 17 Jahre alten Angeklagten sollen eine 21-jährige Austauschstudentin am Verkehrsknotenpunkt Praterstern auf das Damen-WC verfolgt und dort der Reihe nach vergewaltigt haben.

Brief des Opfers

Das Opfer wird wohl ihr Leben lang an der Tat leiden. "Es ist der Albtraum jeder Frau", sagt ihre Privatbeteiligtenvertreterin Sonja Aziz. Und liest einen Brief des Opfers vor. "Manchmal spüre ich gar nicht, dass ich lebe", schreibt die früher lebenslustige junge Frau. "Drei Monate konnte ich mich nicht in den Spiegel schauen." Auch: "Ich habe noch immer so viel Wut, das macht mir Angst."

Unterstützung bekommt die mittlerweile in ihre Heimat zurückgekehrte Türkin dennoch wenig. Ihre türkischen Freunde in Wien hätten ihr Vorwürfe gemacht, warum sie so spät auf dem Praterstern gewesen sei. Ihren Eltern erzählte sie erst zwei Wochen später, dass etwas vorgefallen sei. Was genau, sagte sie nicht. "In der Türkei ist es ein Tabuthema", schreibt sie in dem Brief. Und dass die Mutter gesagt habe, wegen ihr sei sie vorzeitig in die Wechseljahre gekommen.

Vorsitzender Gerstberger bittet die Dolmetscherin, den Angeklagten das Schreiben zu übersetzen. Zwei von ihnen hören mit gesenktem Blick zu, Mohammed S. zeigt keine Regung.

Zwei Geburtsdaten

Verwunderung kommt gleich zu Beginn auf, als Gerstberger den Erstangeklagten nach dem Geburtsdatum fragt. "14. August 1998", antwortet dieser. "Aus dem Akt geht aber hervor, dass Sie auch 31. Dezember gesagt haben. Warum jetzt plötzlich August?" – "Das mit Dezember haben die Ärzte hier behauptet." – "Das ist ja absurd! Warum sollen die Ärzte ein genaues Geburtsdatum angeben?" G. entscheidet sich trotzdem für Dezember.

Vor rund eineinhalb Jahren sind die drei Afghanen aus dem Iran nach Österreich gekommen. Die Schulbildung reicht von "keine richtige" bis "vier Jahre Volksschule". Alle mussten arbeiten, um ihre Familie zu unterstützen, mit Schleppern kamen sie nach Österreich. Hier sind sie in Heimen untergebracht, aufgeteilt auf drei Bundesländer.

Am 22. April trafen sich alle in Wien. Tranken Whisky und endeten irgendwann in der Bahnhofshalle am Praterstern. Laut Anklage sahen sie dort ihr Opfer und folgten ihr auf die Toilette. Mit einer Münze sperrten sie die Kabinentür auf. Nachdem sie den Kopf der Frau gegen die WC-Schüssel geschlagen hatten, hielten jeweils zwei von ihnen das Opfer fest, während der dritte sich an der Studentin verging.

Ausflüchte statt Reue

Alle drei Angeklagten bekennen sich grundsätzlich geständig, wirkliche Reue ist aber nicht zu spüren. Im Gegenteil – vor dem Senat kommen plötzlich Ausflüchte. "Wer hat die Idee gehabt?", will der Vorsitzende vom Erstangeklagten wissen. "Ich nicht." – "Wer dann?" – "Niemand." – "Wie kommt man dann dazu, so etwas zu machen?" – "Ich war betrunken, habe nicht gewusst, was ich gemacht habe."

Das ist neu, bei seiner polizeilichen Aussage war er noch recht konkret, die Beamten konnten auch keine offensichtliche Beeinträchtigung feststellen. "Wir haben das nicht absichtlich gemacht", sagt G. nun. Da reicht es dem Vorsitzenden. "Er soll nicht blöd herumreden. Entweder er gesteht oder nicht, oder er sagt gar nichts mehr", lässt er übersetzen. Nach kurzer Rücksprache mit seinem Verteidiger entschließt sich der Erstangeklagte für Alternative Nummer drei.

Auch der Zweitangeklagte kann sich nicht erinnern, von wem die Idee gekommen ist. "Ist die vom Himmel gefallen? Oder aus der Hölle gekommen?", fragt Gerstberger und erhält keine Antwort.

Geständnis erst wegen DNA-Spuren

Mohammad S. sagt, er sei erst in die Kabine gekommen, als die beiden anderen schon über das Opfer hergefallen seien. Zwei, drei Minuten sei er dabei gewesen. "Ich weiß nicht mehr, was ich gemacht habe." – "Wie kommen Ihre Spermien in die Vagina des Opfers? Und auf ihre Hose?" – "Ich habe das Mädchen vergewaltigt", gesteht S. schließlich doch ein.

"Können Sie sich Ihr eigenes Verhalten erklären?" – "Seit sieben Monaten überlege ich, warum ich es getan habe." Offenbar bisher erfolglos.

"Bei der Polizei haben Sie noch gesagt, Erst- und Drittangeklagter seien dem Mädchen nachgegangen. Und Sie hätten sich gedacht, dass die beiden etwas anstellen wollen." – "Damals habe ich sehr viel gelogen." – "Warum lügt man, um sich selbst zu belasten?", wundert sich Gerstberger. "Ich hatte Angst." – "Ja, aber dann versuche ich doch, meine Schuld kleinzureden!" Die Reaktion ist Schweigen.

Mitleid und Angst

Der Drittangeklagte gibt schließlich zu, dass die Idee von ihm gekommen sei. Er sei es auch gewesen, der die Tür aufgesperrt habe. "Warum?" – "Ich weiß es nicht." Dann sagt er: "Ich habe schon Mitleid mit ihr gehabt. Und Angst hatte ich auch."

Aber vergewaltigt habe er sie nicht. "Wie kommen dann die DNA-Spuren der Frau auf Ihren Penisschaft?", wundert sich Gerstberger. "Ich habe keine Erklärung dafür", lautet die Antwort. Eine mögliche Antwort liefert DNA-Sachverständige Dwora Stein. Es sei nicht auszuschließen, dass das Sekret Speichel sei. Wenn der Drittangeklagte dem Opfer den Mund zugehalten habe und nachher seinen Penis intensiv berührt habe, sei eine Übertragung denkbar.

Beisitzerin Alexandra Skrdla hat auch eine Frage: "War Ihnen klar, dass Sie das Gesetz gebrochen haben?" – "Ich habe das Gesetz nicht gebrochen", hört die überraschte Skrdla. "Haben Sie Regeln nochmals verletzt? In der Justizanstalt?" – "Es gab Probleme mit Mithäftlingen." Offensichtlich nicht nur mit diesen – gegen S. laufen auch zwei Verfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt.

"Kleiner Fehler"

Der psychiatrische Sachverständige Werner Gerstl berichtet in seinem Gutachten allerdings, der Drittangeklagte habe bei seiner Untersuchung noch gesagt, er habe gewusst, dass es nicht erlaubt sei. Die Staatsanwältin zitiert dann aus dem Protokoll – der Teenager hat von "einem kleinen Fehler" gesprochen.

Die beiden anderen haben bei Gerstl noch von einer völligen Amnesie gesprochen. Alkoholbedingt kann diese nicht sein – zum Tatzeitpunkt hatten die Jugendlichen maximal 1,2 Promille Alkohol im Blut, hat der Experte berechnet.

Am Nachmittag muss dann vertagt werden. Die Sachverständige Adelheid Kastner, die die psychischen Folgen für das Opfer untersucht hat, hat ihr Ergänzungsgutachten dem Gericht nicht übermittelt. Das sei zwar schon fertig, aber nicht in der Nähe ihres Computers, erfährt Gerstberger aus einem Telefonat.

Die Verhandlung wird am 31. Jänner fortgesetzt. (Michael Möseneder, 6.12.2016)