Umfragen zufolge konnte die sozialdemokratische Opposition unter Zoran Zaev aufholen – gewinnen wird sie wohl nicht.

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Die Betonwände wurden in den vergangenen Monaten mit Fassaden im "Stalin-Barock" verdeckt. Der Kitsch soll die Geschichte verstecken. Skopje ist eigentlich ein Kind der Moderne – weil die Stadt im Jahr 1963 durch ein Erdbeben zerstört worden war. In zehn Jahren unter der Regierung der Nationalkonservativen wurde sie aber mit Statuen von "Nationalhelden" vollgestellt. Die nationale "Behübschung" und "Verkleidung" weist darauf hin, dass es vieles gibt, was hier versteckt werden soll. Die Regierenden und ihre Freunde haben in den vergangenen Jahren Ämter missbraucht, die Öffentlichkeit manipuliert und Justiz und Bürokratie durch Parteiinteressen gesteuert.

Am Sonntag findet in dem kleinen Balkanstaat eine Richtungswahl statt. Gewinnt die VMRO-DPMNE wieder mit großer Mehrheit, könnten alle Bemühungen der EU und der USA der letzten eineinhalb Jahre, wieder Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzuführen, zunichtegemacht werden. Der Analytiker Sašo Ordanoski meint: "Dann werden viele Leute aufgeben und auswandern. Zehntausende haben bereits das Land verlassen."

Keine perfekten Wahlen

Europäische Diplomaten meinen, dass die "Wahlen weit davon entfernt sind, perfekt zu sein". Die Versuche der EU und der USA, eine fairere Berichterstattung und weniger Druck auf die Wähler zu garantieren, hätten zwar Früchte getragen, allerdings seien "die Auswirkungen nicht grundlegend". Zumindest konnte erreicht werden, dass das Staatsfernsehen auch der Opposition Raum gibt.

Medien dürfen keine Werbung mehr für die Regierung machen. "Das hat die Propaganda beruhigt", meint Voislav Stojanovski vom Helsinki-Komitee in Skopje. In den vergangenen zehn Jahren Jahren – seit dem Amtsantritt von Nikola Gruevski – waren die Medien sukzessive unter die Kontrolle der Regierung gebracht worden; kritische Sender wurden geschlossen, die Zeitungen zu Propagandazwecken missbraucht.

Russland schickt Wahlbeobachter

Nun haben Internetportale – die nicht unter die neuen Regelungen fallen – die "Parteiarbeit" übernommen. Kürzlich wurden etwa die Fotos von zwölf Polizisten einer Sondereinheit veröffentlicht, die angeblich zur Opposition gehören. Die Beamten sind dadurch in Gefahr geraten. Das sollte wohl eine "Warnung" sein. Die Möglichkeiten der Regierungspartei, Leute unter Druck zu setzen, sind diesmal aber geringer.

Eine Wahlbeobachtermission soll Manipulationen verhindern. Insgesamt sind 320 Wahlbeobachter aus OSZE-Staaten vor Ort – interessant ist, dass Russland gleich 45 Leute entsendet. Das ist die höchstmögliche Zahl, die Moskau schicken darf – und äußerst ungewöhnlich. Russland zeigt schon seit längerer Zeit gesteigertes Interesse am Balkan, und in Mazedonien geht es – wie auch in Montenegro und in Bosnien-Herzegowina – darum, ob man sich eher am Westen oder eben an Russland orientieren will.

Albanische Parteien als Königsmacher

Den Umfragen zufolge konnte die sozialdemokratische Opposition unter Zoran Zaev aufholen – sie liegt jetzt nur mehr ein paar Prozentpunkte hinter der VMRO. Allerdings wird diese wohl wieder gewinnen und könnte neuerlich mit der albanischen DUI eine Koalition bilden.

Etwa 25 Prozent der Bevölkerung sind Albaner – deshalb sind albanische Parteien immer Teil der Regierung und kommen oft in die Rolle des "Königsmachers". Sie entscheiden, ob die Konservativen oder die Sozialdemokraten an die Macht gelangen. Auch die DUI war in den vergangenen Jahren Teil des korrupten Systems mit der VMRO – unter den Albanern hat sie deshalb stark an Glaubwürdigkeit und Beliebtheit verloren.

Neue albanische Parteien sind entstanden – die größte unter ihnen heißt Besa (Ehrenwort). Sie hat vor allem in Skopje und in Kumanovo Zulauf und möchte mit den Sozialdemokraten koalieren. Die Wähler entscheiden am Sonntag auch darüber, ob die Sonderstaatsanwaltschaft ihre Arbeit fortsetzen kann. Diese wurde auf Druck der EU eingesetzt, um die korrupten Machenschaften und den Amtsmissbrauch der letzten Jahre aufzuklären.

Sonderstaatsanwaltschaft braucht mehr Zeit

Die Opposition hatte ab Frühjahr 2015 Abhörprotokolle auf Youtube gestellt, auf denen Gespräche zwischen Machthabern – von Regierung und Geheimdienst – zu hören sind. Das Material gibt Aufschluss über Wahlfälschungen, angeordnete Gewalt gegen missliebige Personen und die Manipulation der Medien. Allerdings haben die Staatsanwälte nur bis Mitte nächsten Jahres Zeit, Anklagen zu erheben – bisher haben sie nur einen Bruchteil der Protokolle überhaupt anhören können. Die VMRO und die DUI sind gegen eine Verlängerung der Frist, weil sie fürchten müssen, dass einige ihrer Vertreter auf der Anklagebank und im Gefängnis landen werden.

Der 41-jährige Rechtsanwalt Bojan S., der gerade zur Arbeit eilt, glaubt, dass es wichtig wäre, die Geheimdienste zu reformieren. "Es gab einen nahtlosen Übergang zwischen der jugoslawischen UDBA und dem jetzigen Geheimdienst", meint er. Der Mann glaubt nicht, dass im jetzigen System ein Machtwechsel möglich ist.

Notwendige Justizreform

Fraglich ist auch, ob die Gerichte die Fälle überhaupt weiterverhandeln – auch die Justiz ist in Mazedonien von Parteiinteressen unterlaufen. Stojanovski vom Helsinki-Komitee glaubt deshalb, dass es nach der Wahl wichtig sein wird, eine Justizreform durchzuführen. Die Entscheidungen von Richtern und Staatsanwälten der letzten drei Jahre sollten durch eine Kommission evaluiert, die Verbindungen zur organisierten Kriminalität untersucht und die Konten der Richter und ihrer Angehörigen überprüft werden.

Wie üblich vor Wahlen versucht man auch die "ethnische Karte" auszuspielen. Stojanovski hat Beweise dafür, dass es vor jedem Urnengang zu einem Anstieg von Hassvergehen zwischen Mazedoniern und Albanern kommt. Er glaubt, dass diese inszeniert werden, damit Angst entsteht und die regierenden Parteien an der Macht bleiben. Angst ist tatsächlich der entscheidende Faktor.

"Handyfoto-Kontrolle"

Wie überall auf dem Balkan werden die Wähler von den Parteien per SMS aufgerufen, um zu bestätigen, dass sie an der Wahl teilnehmen werden. Beliebt ist auch die "Handyfoto-Kontrolle": Die Bürger werden aufgefordert, ein Bild des angekreuzten Wahlzettels in der Wahlkabine zu machen und an die Partei zu schicken. Danach garantiert die Partei den Job und damit das wirtschaftliche Überleben der Familien.

Die Sozialdemokraten (SDSM) haben es – auch mithilfe der Proteste der Zivilgesellschaft – in den vergangenen Monaten geschafft, Menschen zu mobilisieren. Die Vertreter der "bunten Revolution" protestierten wochenlang gegen die Korruption und die autoritären Entwicklungen.

Der 36-jährige Manager Dane V., der gerade den Platz mit der riesigen Statue von Alexander dem Großen überquert, hofft, dass die SDSM gewinnt. "Wenn es wirklich freie Wahlen gibt, dann wird sie das auch", meint er. "Wenn die VMRO an der Macht bleibt, dann wird die Sonderstaatsanwaltschaft nicht arbeiten können." Die entscheidende Frage bleibt, ob die EU weiter Druck ausüben wird, damit Rechtsstaatlichkeit eine Chance bekommt. Mit der Unterstützung der USA unter Trump ist nun kaum mehr zu rechnen. (Adelheid Wölfl aus Skopje, 9.12.2016)