Verschwenderisches Unmaß: Romy Schneider und Helmut Berger in Luchino Viscontis "Ludwig" (1972).

Foto: KPA / Ullstein Bild / picturedes

Wien – Das Ende des berühmtesten Märchenkönigs der Neuzeit kommt eher abrupt und lässt jede Größe vermissen. Unaufhörlich prasseln Wolkenbrüche auf Schloss Neuschwanstein. Die Mitglieder des bayerischen Staatskabinetts ähneln unter ihren Schirmen und Zylindern Nebelkrähen. Sie scheinen neiderfüllt und sind wohl deshalb gekommen, um Ludwig II. (Helmut Berger) die Edelsteine vom Krönungsmantel zu picken. Es könnten auch seine gefrorenen Tränen sein.

Dreieinhalb Stunden dauert zu diesem Zeitpunkt bereits Luchino Viscontis filmische Hommage an die traurigste (und anerkannt wahnsinnige) Gestalt des Historismus. Ludwig (1972) ist ein bestürzend pompöses Kinorequiem auf Richard-Wagner-Kult und zugleich schnöde Wirklichkeitsverleugnung.

Das verschwenderische Unmaß, das dieser Film zur Darstellung bringt, leitet ihn ästhetisch an. Den Grundton gibt ausgerechnet ein Motivpartikel aus dem Tristan-Vorspiel vor. Ein Seufzen, das harmonisch unbestimmt bleiben muss, da die akuten Widersprüche des hohen 19. Jahrhunderts auch von uns Heutigen kaum aufzuheben sind.

Abgespeckt

Das Wiener Akademietheater nimmt sich Viscontis Ludwig ab Samstag in abgespeckter Form szenisch an. Nach den Verdammten im Josefstadt-Theater ein neuerlicher Versuch, in den vollendet austarierten Bildwelten von Don Luchino Visconti di Modrone (1906-1976) nach Indizien für die schleichende Entwertung von Kulturgütern zu suchen.

Auf dem Prüfstand steht nichts Geringeres als die Schönheit selbst. Ihr Zustandekommen zeigt Visconti als Idee, der Darstellung von staatlichen Gütern da, wo es symbolisch nötig ist, mit kostbarsten Schauwerten aufzuhelfen. Verblüffend bereits die Münchner Krönungsfeierlichkeiten, die den jungen Helmut Berger inmitten seiner Offiziere und Hofdamen, von Speichelleckern und Prälaten, als Puppe präsentieren, als Königsdarsteller. Eine Aura der Aussichtslosigkeit umgibt den bestürzend schönen Jüngling, dessen einziges Lebenszeichen der Griff nach dem Schampusglas bleibt. Berger schlürft das Elixier, als tränke er Nektar aus einem Blütenkelch.

Von der vorsätzlichen Wirklichkeitsverdrängung führt eine Art Königsweg hin zum schwindenden Gehalt der Dinge. So man sie eben auch dann noch als ästhetisch auffasst, wenn sie ihren wahren, strikt politischen Charakter längst enthüllt haben. Ludwigs wahrer "Gegenspieler" ist nicht seine schwächliche geistige Konstitution, auch nicht seine unglückliche, klar sexuell getönte Schwärmerei für die amüsierte Kusine, Kaiserin Sisi (Romy Schneider, die sich selbst famos reminisziert).

Halunke in Samt

Der Feind ist in Gestalt des Jahrhundertkomponisten Wagner (Trevor Howard) ein Halunke in Samt, der der Pflege seines Ingeniums buchstäblich alle Werte unterwirft, nicht zuletzt seine Loyalität zu seinem hochmögendsten Gönner, eben Ludwig. Erfahrbar wird die rare Weltsekunde, als der Geist gewissenloser Ausbeutung sich zum letzten Mal als Sinn für das Erhabene tarnen konnte. Der Umgang mit Natur wird ersetzt durch ihre konsequente Ruhigstellung. À la longue kommt Ludwig nicht nur sein Königreich abhanden, sondern er sich selbst.

Und so inszeniert Visconti seine endlosen Kamerafahrten, die einen König zeigen, für den die Welt sich umso mehr entstofflicht, je kostbarer und vermeintlich bewohnbarer sie für den gekrönten Bankrotteur an Bayerns Staatsspitze werden soll. Schauwerte? En masse. Sie führen nur zu nichts, was für irgendjemanden lebenswert erschiene.

Vor seinem Untergang sieht Ludwig sein Dilemma bemerkenswert klar: Die Bürgerlichen seien gekommen, "mich zu töten, indem man mich am Leben erhält". In der Wiener Bühnenfassung von Bastian Kraft (Regie) wird Markus Meyer (Ludwig) in den Starnberger See gehen, um diesem Umstand durch Ertrinken abzuhelfen. Die beiden weiteren Mitwirkenden: Regina Fritsch (Elisabeth) und Johann Adam Oest (Wagner). (Ronald Pohl, 9.12.2016)