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Wahlplakate kleben seit Wochen in Mazedoniens Hauptstadt Skopje. Am Sonntag wird gewählt.

Foto: Reuters / Ognen Teofilovski

STANDARD: Zuletzt ist der Abstand zwischen Ihrer Partei, der VMRO-DPMNE, und den Sozialdemokraten geschrumpft. Es kann sein, dass Sie zwei albanische Parteien brauchen werden, um eine Koalition bilden zu können.

Poposki: Das kann alles sein, sogar drei oder vier. Wenn man eine Mehrheit hat, ist das natürlich etwas völlig anderes, als wenn man keine Mehrheit hat.

STANDARD: Kürzlich hat der türkische Präsident Tayyip Erdoğan gedroht, er würde wieder Flüchtlinge nach Europa schicken, weil das EU-Parlament dafür gestimmt hat, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesetzt werden sollen. Welche Konsequenzen hat das für Mazedonien und die Kontrolle der Grenze zu Griechenland?

Poposki: Ich denke, dass die Türkei ein Interesse hat, die Beziehungen zu Europa aufrechtzuerhalten, so wie Europa das auch will. Abgesehen davon gibt es den Deal zwischen Deutschland und der Türkei, und ich denke nicht, dass die Türkei diesen Deal brechen will. Und Europa auch nicht. Abgesehen davon haben wir aber gezeigt, dass wir in der Lage sind, unsere Grenze zu kontrollieren. Es gibt keine Grenze, die völlig undurchlässig ist, und es gibt noch immer illegale Überschreitungen, aber es ist völlig anders als zu dem Zeitpunkt, wo wir noch 14.000 Leute pro Tag an der Grenze stehen hatten. Das sendet ein Signal.

STANDARD: Wird eine zweite Flüchtlingswelle – wenn die Türkei Migranten schickt – Einfluss auf Mazedonien haben?

Poposki: Das würde Einfluss haben, wenn wir nicht vorbereitet wären. Aber wir sind vorbereitet. Wir haben ein Kooperationssystem mit einigen EU-Staaten – unter anderem Österreich – für die Grenzsicherung. Und das ist gut für uns und für die EU-Staaten.

STANDARD: Könnte es auch notwendig sein, an einer anderen Stelle einen Zaun zu bauen?

Poposki: Wir sind keine großen Fans von Zäunen. Aber wenn es an anderen Stellen als in Gevgelija das gleiche Risiko geben sollte, dann werden wir das tun. Sonst nicht. Denn wir bauen keine Zäune um der Zäune willen. In der Praxis hat sich aber gezeigt, dass die Anzahl der illegalen Grenzüberschreitungen massiv gesunken ist, als wir die zwölf Kilometer Zaun bei Gevgelija gebaut haben.

STANDARD: Erwarten Sie, dass im Fall eines zweiten Zustroms aus der Türkei die Migranten eher über Bulgarien gehen würden als über Mazedonien?

Poposki: Sie könnten das nutzen, weil die griechisch-bulgarische Grenze derzeit nicht so gut geschützt ist. Sie haben immer die richtigen Informationen. Und sie nehmen immer den Weg, der am sichersten, schnellsten ...

STANDARD: … und billigsten ist ...

Poposki: ... und der nicht kontrolliert wird.

STANDARD: Welche Auswirkungen hat die Wahl von Donald Trump auf die US-Politik gegenüber den Balkanstaaten? Es gibt die Annahme, dass die US-Regierung sich nun weniger engagieren wird.

Poposki: Ich glaube nicht, dass der Balkan unter den fünf Top-Prioritäten der nächsten US-Regierung sein wird. Ich denke, dass es deshalb weniger Druck geben wird, dass etwas Bestimmtes auf dem Balkan passiert. Es wird daher am wichtigsten sein, dass wir nicht darauf warten, dass irgendwer anderer unsere Probleme repariert. Amerika ist symbolisch sehr wichtig für uns, weil es das Symbol für die Familie ist, zu der wir gehören wollen: die europäische Familie. Aber ich sehe keine großen Erdbeben auf uns zukommen. Die USA haben sich bereits seit einiger Zeit als jemand, der für Sicherheit sorgt, zurückgezogen. Wir haben Bedrohungen wie Migration, Terrorismus und Extremismus, aber diese können mit den Ressourcen, die wir in der Region haben, eingedämmt werden.

STANDARD: Die Nato war für die USA bisher wichtig. Montenegro soll dem Bündnis nun beitreten. Wenn Mazedonien der Nato beitreten will, muss aber zuerst der Namensstreit mit Griechenland gelöst werden, weil Griechenland deswegen blockiert. Sehen Sie irgendeine Möglichkeit, dass nach den kommenden Wahlen der Namensstreit gelöst wird?

Poposki: Was die Nato betrifft, so haben wir alle Kriterien erfüllt – es bleibt nur die Namensfrage. Das Zeitfenster dafür ist schon seit 2008 weit offen, weil die Nato Mazedonien immer wieder einlädt beizutreten, sobald die Namensfrage gelöst ist. In den vergangenen neun Jahren gab es immer wieder einen Austausch mit Griechenland, vielleicht sogar eher von griechischer Seite. Viele Gelegenheiten wurden versäumt. Wir sollten jetzt nicht davon ausgehen, dass die kommenden Wahlen der Ausgangspunkt für die Lösung des Namensstreits sind. Für eine Lösung müssten wir uns einbringen und vielleicht auch die Griechen. Aber wir sind in keiner perfekten Zeit dafür – andererseits waren wir das niemals. Wenn wir auf eine perfekte Phase warten, wird die wohl nie kommen.

STANDARD: Kann man in der EU-Annäherung weiterkommen ohne die Lösung der Namensfrage?

Poposki: Was die EU betrifft, so haben wir im Jahr 2009 einen fürchterlichen Fehler gemacht, indem wir die Haltung Griechenlands akzeptiert haben. In dieser Zeit, haben wir die erste Empfehlung von der Europäischen Kommission für den Start der Beitrittsverhandlungen bekommen. Die EU dachte, dass die Namensfrage mit Griechenland in wenigen Monaten gelöst werden könnte, aber in der Zwischenzeit haben weder die Beitrittsverhandlungen mit der EU begonnen, noch haben wir die Namensfrage gelöst. Und nun scheint es so zu sein, dass wir weniger Chancen haben, um eine angemessene Lösung zu finden, die am Ende auch sicherlich nicht belohnt wird. Ein wichtiges Element ist es nun, dass wir das Vertrauen in den Prozess zurückgewinnen. Das kann nur mit dem Start von Erweiterungsverhandlungen erreicht werden. In diesem Fall wird Griechenland nicht seine Position verlieren, denn es ist klar, dass wir ohne die Zustimmung von Griechenland nicht Mitglied werden können. Die griechische Haltung ist: Wir machen euch das Leben schwer wegen der Namensfrage – bis ihr unseren Bedingungen folgt.

STANDARD: Griechenland ist einfach in einer besseren Position.

Poposki: Das ist unvergleichbar. Die sind drinnen, wir sind draußen.

STANDARD: Zur Innenpolitik. Denken Sie, dass es gut wäre, wenn die Gespräche zur Bewältigung der Krise unter den vier Parteien nach den Wahlen weitergehen würden?

Poposki: Diese Gespräche fanden statt, weil die Opposition das Parlament blockiert hatte. Nach den Wahlen sollten diese Gespräche wieder im Parlament stattfinden und nicht in irgendwelchen Residenzen von Botschaftern.

STANDARD: Die Zeit, innerhalb derer die Sonderstaatsanwaltschaft Anklagen erheben kann, ist auf 18 Monate begrenzt. Auch die EU ist dafür, dass dieser Zeitraum verlängert wird, weil die Sonderstaatsanwaltschaft noch nicht ausreichend Zeit hatte, die Materialien zu der Abhöraffäre zu sichten. Ihre Partei ist dagegen, den Zeitraum zu verlängern. Finden Sie es wichtig, dass die Fälle restlos aufgeklärt werden?

Poposki: Wir hatten eine politische Vereinbarung zur Sonderstaatsanwaltschaft, und die war sehr präzise, auch was die Zeit und den gesetzlichen Rahmen betrifft. Wenn es um die Abhöraffäre geht, haben wir eine klare Linie. Wir wollen, dass dies innerhalb eines gewissen Zeitraums untersucht wird, weil wir Gewissheit zurückbringen wollen. Überall wird abgehört, aber es gab nirgends eine Abhöraffäre, die derart öffentlich wurde wie in Mazedonien. Das zeigt auch den Grad der Freiheit, die es in Mazedonien gibt.

STANDARD: Und was ist, wenn die Sonderstaatsanwaltschaft sagt, dass sie es in diesem Zeitraum von 18 Monaten nicht schafft, die Fälle aufzuarbeiten?

Poposki: Theoretisch kann das sein. Die Logik war, dass man sich auf die wichtigsten Abhörprotokolle konzentrieren sollte.

STANDARD: Es geht darum, dass man diesen Zeitraum ausdehnen könnte.

Poposki: Es ist Teil einer Vereinbarung, die wir unterschrieben haben. Und wenn man jetzt etwas daran ändert, dann ändern sich auch andere Parameter. Man kann sich nicht die Kirschen herauspicken. Jetzt gibt es Wahlen, dann gibt es Anklagen – oder auch nicht. (Adelheid Wölfl, 11.12.2016)