Seit dieser Woche sind wir genau 39 Jahre in Wien. Ein kurzer Zeitraum für eine Schildkröte, aber ein langer für ein ehemaliges Kind.

Ich habe Wien erkundet, erschnüffelt, gekostet. Ich habe Wien gelernt und verdaut. Ich habe Wien verstanden (jedenfalls ansatzweise), und ich habe Wien lieb gewonnen. Wien ist mir tierisch auf die Nerven gegangen, Wien hat mich umarmt und mir ans Bein gepinkelt. Wien hat sich, je länger unsere Beziehung andauerte und je beständiger sie wurde, als umso treuere Seele entpuppt.

Wien hat mir einen Arschtritt verpasst, einen Zungenkuss und eine Musenumarmung. Ich wohnte in den unterschiedlichsten Bezirken, ging in Bruchbuden aus und ein und in Luxusappartments, verdarb mir den Magen zu gleichen Teilen am Würschtlstand und im gehobenen Sushirestaurant.

Die Mehlspeistradition hat mir einige Jeansmodelle geraubt und in den 80ern das U4 den Schlaf.

Meine erste große Liebe begann in der Innenstadt und zerbrach im 15. Hieb. Ich ging ins Theater der Jugend, in die Breitenseer Lichtspiele, ins Multiplexx, ins Porgy& Bess, in die Kunsthalle und ins Hamakom.

Ich ritt auf den Sphinxen im Belvedere, lief im Stadtpark, lag im Burggarten und dinierte in Schönbrunn.

Ich konnte in all dieser Zeit meine diversen Haustiere in jedem öffentlichen Transportmittel mitnehmen. Ich hatte böse Nachbarn, und ich hatte Engelsgestalten nebenan. Ich kenne den Geruch dieser Stadt: von Pferdeurin über Punschlüfterl bis Rosenduft. Ich verließ sie zu Fuß, im Zug, im Auto, unter röhrendem Turbinengeräusch. Ich freute mich immer auf Abwechslung. Aber ich war immer erleichtert, zurückzukommen.

Manchmal dauert eine Heimfindung an die 35 Jahre. Aber was langsam wächst, wird endlich gut. (Julya Rabinowich, 9.12.2016)