Glaubt, dass die von der Volksrepublik China gegen die Kapitalflucht ergriffenen Maßnahmen das Gegenteil der intendierten Wirkung zeitigen werden: Der Aufsichtsratspräsident von AT&S, Hannes Androsch, im Foto festgehalten bei einem Besuch des Reinraums im neuen AT&S-Werk in Chongquing.

Foto: apa

Wien – Unter europäischen Firmen, die in China tätig sind, wächst die Unsicherheit. Wie berichtet hat die chinesische Devisenbehörde die Banken angewiesen, Auslandsüberweisungen von Kapitalkonten mit fünf Millionen Dollar zu beschränken. Von deutschen Konzernen gibt es bereits die ersten Beschwerden, dass Dividendenerträge nicht mehr nach Europa transferiert werden können.

Auch in Österreich wird das Geschehen aufmerksam verfolgt – etwa beim steirischen Leiterplattenhersteller AT&S. Der Konzern, der auch in China tätig ist und in Chongqing gerade neue Werke baut, ist zwar nicht von der Dividendenbeschränkung betroffen, plant aber eine Kapitalerhöhung. Diese werde man nun aber nur auf Vorrat beschließen, tatsächlich fließen werde vorerst kein Kapital, kündigt der Aufsichtsratsvorsitzende von AT&S, Hannes Androsch, im STANDARD-Gespräch an. Der Industrielle ist überzeugt, dass der Schritt der Chinesen auch bei anderen Unternehmen nicht ohne Folgen bleiben wird. "Das bewirkt genau das Gegenteil von dem, was man erreichen möchte. Niemand investiert Geld, wenn man nicht weiß, ob man es auch wieder rauskriegt."

Eine Billion weniger

Das Land kämpft seit längerem mit Kapitalflucht. Die Währungsreserven sind in den vergangenen zwei Jahren um rund eine Billion Dollar (auf zuletzt drei Billionen) gesunken, die Landeswährung Renminbi hat stark an Wert verloren. In erster Linie gehe es der Zentralregierung auch gar nicht um ausländische, sondern um chinesische Investoren, ist der Leiter der österreichischen Außenhandelsstelle in Peking, Martin Glatz, überzeugt. "Das ist eher ein Kollateralschaden." Er hofft daher noch auf Klarstellungen, dass es nicht um Dividendenzahlungen gehe. "Denn das wäre ein gewaltiger Rückschritt." Das Problem mit den aktuellen Änderungen sei auch, dass es keine genauen Informationen gebe. "Die Provinzen scheinen unterschiedlich vorzugehen. Vieles läuft hier informell, das hilft nicht gerade bei der Rechtssicherheit", sagt Glatz.

Für das Problem der Chinesen zeigt er aber durchaus Verständnis. "Die Goldgräberzeiten sind vorbei". Der Wettbewerbsdruck steige, viele erhoffen sich im Ausland mittlerweile höhere Erträge. "Wir haben immer wieder Investoren, die sagen: Wir kaufen alles, Hauptsache, wir können das Geld ins Ausland bringen", erzählt Glatz.

Überhang an China-Investitionen im Ausland

Diese Entwicklung lässt sich auch in den amtlichen Statistiken der Volksrepublik ablesen. Die chinesischen Direktinvestitionen im Ausland sind heuer um mehr als 50 Prozent gestiegen – auf 145,96 Milliarden Dollar in den ersten zehn Monaten. Zum Vergleich: In China haben Geldgeber anderer Staaten "nur" 104 Milliarden US-Dollar investiert. Europa wird bei den Chinesen immer beliebter. Neben dem Automobilsektor (die Pirelli-Übernahme mit sieben Milliarden Euro war die bisher größte) zählen laut dem China-Thinktank Merics der Immobilien- sowie der Telekommunikations- und Finanzsektor zu den beliebtesten Anlagezielen chinesischer Unternehmen. Wie stark der staatliche Einfluss dabei ist, zeigt eine andere Zahl: 70 Prozent aller chinesischen Investitionen in Europa erfolgen durch Unternehmen, die sich im Staatseigentum befinden.

(Günther Oswald, 10.12.2016)