Zivilisten, die Ostaleppo verlassen wollen, sammeln sich an einem Checkpoint der syrischen Armee im Viertel Maysaloun.

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Damaskus/Wien – Sicher ist nur, dass die Schlacht um Aleppo sich dem Ende nähert – und dass die USA und Russland noch einmal um einen Modus ringen, um dieses Ende abzukürzen, was viele Menschenleben retten könnte. Laut Russland hätte das Assad -Regime am Donnerstag die Angriffe einstellen sollen, um Zivilisten die Flucht zu erlauben. Beobachter am Boden bestätigten die Feuerpause jedoch nicht.

Über die Anzahl der noch in Aleppo eingeschlossenen Zivilisten gibt es unterschiedliche Angaben – mit der Tendenz, die bisherigen von bis zu 300.000 Menschen nach unten zu korrigieren. Laut russischen Angaben konnten innerhalb von 24 Stunden mehr als 10.000 Menschen die Stadt verlassen. Die Uno schlug jedoch am Freitag Alarm: Mehrere Hundert Männer wurden von ihren Familien abgesondert und sollen seither verschwunden sein. Ebenso besteht laut Uno gegen die Rebellen der Verdacht, dass sie zur Flucht bereite Zivilisten teilweise nicht aus der Stadt lassen.

Nach ihrem Vordringen in die Altstadt am Mittwoch kontrollierten die Regierungstruppen mehr als drei Viertel der vormals von_Rebellen gehaltenen Gebiete in der Stadt, am Freitag waren es laut russischen Angaben bereits mehr als 90 Prozent. Der Rückzug aus den dichtbesiedelten engen Vierteln in offenere Räume macht die Rebellen noch verwundbarer.

Rebellen sollen abziehen

Noch immer gibt es Bemühungen, die restlichen Kämpfer zum Aufgeben zu überreden. Der seit Wochen vom Syrien-Beauftragten der Uno, Staffan di Mistura, verfolgte Plan sah vor, vor allem jene der Fatah-Front (früher Nusra-Front), die auch von den USA als Al-Kaida-Verbündete gesehen wird, aus dem Spiel zu nehmen. Damit wäre die russische Behauptung, in Aleppo "Terroristen" zu bekämpfen, hinfällig. Das ist aber bisher nicht gelungen.

Der kommende Präsidentenwechsel in den USA könnte die Entscheidung der Rebellen beeinflussen: Sie müssen befürchten, dass Donald Trump, der die CIA-Unterstützungsoperation für als "moderat" eingestufte Rebellen wiederholt kritisiert hat, sich überhaupt nicht mehr um sie kümmert und Russland ganz offiziell freie Hand bekommt.

Syrien-Beobachter sind sich weitgehend einig, dass Aleppo einen Wendepunkt, aber nicht das Ende des Kriegs darstellt. Den klassischen "Aufstand", wie er 2011 gegen das Assad-Regime begonnen hat, gibt es mit dem Fall von Aleppo wohl nicht mehr.

Angelernter Islamismus

Die Bevölkerung von Aleppo hatte nie einen Hang zum radikalen Islamismus oder gar jihadistische Sympathien. Die islamische Identität im Kampf gegen das Assad-Regime mit seinem alawitischen Hintergrund wurde den lokalen Rebellengruppen mehr oder weniger aufgezwungen, von den von außen – zum Beispiel der Türkei – unterstützten Kräften. Und dieser Trend wird sich fortsetzen: Die verbleibenden Rebellen sind noch mehr auf Zusammenarbeit mit starken Gruppen angewiesen, und das sind nun einmal radikal-islamistische. Bashar al-Assad wird die Art von Aufstand haben, die er immer wollte, weil sie ihm (vermeintliche) Legitimation verschafft.

Zentrum des zukünftigen Kampfes werden Provinz und Stadt Idlib sein, die zuletzt vermehrt von der russischen Luftwaffe angegriffen wurden. Dorthin werden auch immer wieder Rebellen gebracht, die im Rahmen von "Versöhnungs"-Deals des Regimes andere bewohnte Gebiete verlassen – so etwa vor einer Woche Al-Tall im ländlichen Raum bei Damaskus. Von dort wurden am 2. Dezember etwa 2000 Kämpfer und ihre Familien in Bussen abtransportiert. Solche Deals gab es in den vergangenen Monaten mehrere, von der Opposition wird das Regime beschuldigt, die "Waffe der Dislozierung" einzusetzen.

In politologischen Kreisen hat das Brainstorming darüber eingesetzt, wie die Zukunft des Kriegs in Syrien – nach Zusammenbruch des klassischen Aufstands – aussehen wird und wie Syrien überhaupt zu befrieden sei.

Am 5. Dezember meldete sich der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman in Defense News zu Wort. Er kommt zum Schluss, dass die Grenzen "künstlich geschaffener" Länder im Nahen Osten, besonders Syrien und Irak, neu gezogen werden müssen. Auch wird zur Befriedung eine massive Bodentruppenpräsenz von außen nötig sein, meint Lieberman – so wie die israelische in "Judäa und Samaria" (Westjordanland). (Gudrun Harrer, 9.12.2016)