Die unausgesprochenen Regeln des Fitnessstudios, wie wir uns darin bewegen, welche Kleidung wir tragen, welche Geräte wir wann und wie benutzen, all das diszipliniert uns.

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Mit neun Kilometern die Stunde bewegt sich das Laufband unter mir, und ich laufe in der genau gleichen Geschwindigkeit in die andere Richtung, um nicht auf dem Boden zu landen. Daneben tun es mir acht Menschen gleich – kollektives individuelles Laufen. Seit knapp zwei Monaten komme ich nun etwa dreimal die Woche hierher und schwitze anonym mit anderen Fitnessmotivierten. Während meiner Zeit auf dem Laufband oder zwischen zwei Sätzen meines Krafttrainings habe ich Zeit, die Trainierenden und mich selbst zu beobachten. Und dabei Verhaltenscodes zu lernen, denen alle hier folgen. Es gibt Regeln: auf Papier vorgeschriebene und jene, die sich in unser Denken und Handeln eingeschrieben haben.

Schwitzen, Schnaufen, Sexappeal – Disziplin

Mein Blick schweift zu den Fernsehapparaten, die überall an den Wänden angebracht sind. In Videos laufen hier Models über die Laufstege, die von braungebrannten Kitesurfern und wagemutigen Skateboardern abgelöst werden. Durchtrainierte Frauen stemmen Gewichte, und eingeölte Männerkörper posieren vor der Kamera.

Vor dem Fernsehgerät sitze ich und versuche, meine Brustmuskulatur mit 25 Kilogramm und zehn Wiederholungen zum Brennen zu bringen. Neben mir sitzt ein Mann und trainiert seinen Kapuzenmuskel. Wir halten uns beide an die Empfehlungen: drei Wiederholungen, dazwischen eine kurze Pause. Außerdem haben wir beide so wie alle Trainierende hier eine Wasserflasche und ein Handtuch dabei, das wir auf die Geräte legen, bevor wir uns draufsetzen. Sehr diszipliniert – mir fällt Michel Foucaults Verständnis der "Disziplinargesellschaft" ein.

Foucault und Butler im Fitnessstudio

Laut Foucault durchdringt Disziplinierung die gesamte Gesellschaft und ist längst nichts mehr, was nur von einer "Macht von oben" kommt. Wir disziplinieren uns und unsere Körper selber, meist unbewusst. Disziplinierung beginnt am Rand der Gesellschaft, in Gefängnissen, psychiatrischen Kliniken et cetera. Doch sie dringt viel weiter vor – bis in Fitnessstudios und bis in unsere Körper. Wir sind frei und stehen doch unter anonymem Zwang und Disziplin. Die unausgesprochenen Regeln des Fitnessstudios, wie wir uns darin bewegen, welche Kleidung wir tragen, welche Geräte wir wann und wie benutzen, all das diszipliniert uns.

Selbstoptimierung heißt der anonyme Zwang. Wir schwitzen und schnaufen, um uns selbst zu optimieren, wir wollen Sexappeal und fitte Körper, um ökonomisch und sozial zu funktionieren. Und ich gehe noch einen Schritt weiter: Mit jedem Schweißtropfen, der unsere Stirn entlangläuft, konstruieren wir unsere Geschlechteridentität. Oder, mit den Worten Judith Butlers, wir performen unser Geschlecht. Das bedeutet, dass es Unterschiede gibt, wie sich Männer und Frauen in Fitnessstudios bewegen. Meine Art zu gehen unterscheidet sich von der eines Mannes – ich habe gelernt, als Frau durch die Welt zu gehen. Ich trage "weibliche" Kleidung, achte auf einen femininen Haarschnitt und gehe immer in die Damenumkleidekabine. Solche Attitüden lebe ich täglich neu. Somit handle ich Tag für Tag, wie es meinem Geschlecht entspricht. Unbewusst perfome ich mein Geschlecht.

Bauch-Beine-Po oder Kraftkammer? – Gender

Nachdem meine Brustmuskeln bereits schmerzen, möchte ich auch meine Schultern und meinen Trizeps zum Brennen bringen. Ich betrete den Hantelbereich, greife zu den Sechs-Kilogramm-Hanteln und drücke meine Arme nach oben. Dieser Bereich des Fitnessstudios wirkt eher düster. Mit den dunklen, metallischen Farben und den niedrigen Decken scheint er ein perfekter Platz für jene mit überhöhtem Testosteronspiegel. Vielleicht liegt dieser Eindruck auch daran, dass ich unter etwa dreißig Männern die einzige Frau bin, die im Moment hier trainiert. Ich versuche mein eigenartiges Gefühl zu ignorieren und vervollständige meine drei Sätze. Währenddessen hoffe ich, dass das T-Shirt meines Trainingsnachbarn nicht platzt, das sich um seine enormen Oberarme spannt, während er mit zusammengekniffenen Augen seinen Bizeps trainiert. Bevor mir die Stofffetzen um die Ohren fliegen, verlasse ich den Raum und begebe mich in den Beine-Po-Bereich. Hier hängen ausschließlich Bilder von Frauen mit glatten Beinen und straffen Pobacken an der Wand. Auch auf den Geräten sitzen hauptsächlich Frauen, wenn auch vereinzelt Männer trainieren. Der "Knackarsch" scheint also ein begehrtes Gut unterschiedlicher Geschlechter zu sein.

Daneben steht ein Automat, bei dem Proteinshakes, -riegel und Nahrungsergänzungsmittel gekauft werden können. Ich erinnere mich an meinen ersten Tag hier, als ich einen der Trainer fragte, warum auf all den Verpackungen entweder "For Men" oder "For Women" geschrieben steht. Er sagte, dass zum einen bei Frauen weniger Zucker zugefügt wurde (niedrigere Trainingsintensität) und sich bei den Produkten für Männer, die den Muskelaufbau fördern, zu Beginn oft Wasser in den Muskeln eingelagert wird (das wollen Frauen nicht). Dann empfahl er mir ein Produkt, das meine Muskeln schützt, sollte ich intensiv trainieren und gleichzeitig wenig essen, zum Beispiel während einer Diät. Ich bin mir sicher, dass er nicht aufgrund meiner Figur von einem Diätwunsch ausging, sondern wegen meines weiblichen Geschlechts. In Fitnessstudios gehen wir also tendenziell eher in Bereiche, die unserem Geschlecht entsprechen, trainieren Körperteile, um Idealvorstellungen unseres Geschlechts zu entsprechen, und unterstützen das Ganze mit Nahrungsergänzungsmitteln oder Hormonen, um unseren Körper weiblich oder männlich aussehen zu lassen.

Vergeschlechtliche Gesellschaft

Als ich das Fitnessstudio verlasse, ist es bereits dunkel. Nach eineinhalb Stunden Training fühle ich mich ausgepowert und gut. Das Fitnessstudio ist ein Ort, der zeigt, wie vergeschlechtlicht unsere Gesellschaft ist, ein Ort, an dem wir uns selbst disziplinieren und optimieren und an dem Geschlechterbilder stetig reproduziert werden. Ich habe dort eine Jahreskarte. Ich genieße es, mich körperlich zu verausgaben und dabei mich selbst und andere zu beobachten. Ich mag es auch, in der Kraftkammer schwerere Gewichte zu stemmen als so mancher Mann neben mir und gleichzeitig den Automaten zu ignorieren. Vielleicht wage ich mich bald mit Shorts und Muskelshirt anstatt engen Leggins und Sport-BH hin. Vielleicht gehe ich in die Männerumkleide, um zu sehen, ob ich damit auf Widerstände stoße. Ich vermute, ich optimiere mich selbst. Doch dabei hoffe ich, Räume für meine persönlichen feministischen Interventionen zu schaffen. (Sophia Stanger, 13.12.2016)