Wien – Eine Art von Sanftmut durchweht das Wiener Kunstforum. Auf ein wohliges "Mmmh" mag sich jene Erfahrung letztlich verdichten, die angesichts der dort gezeigten Gemälde zu machen ist: Abstraktionen von Blumen, Landschaften, bildgewordene Musik, zarte, beruhigte Wolkenbilder sind zu sehen. Selbst noch den Bildern von Unwettern und Tierschädeln in der Wüste fehlt das Erschreckende. Jedenfalls von der Oberfläche her betrachtet.
Die durchwegs weiche Anmutung gehört nämlich freilich zu nichts Geringerem als zu einer Retrospektive Georgia O'Keeffes (1887-1986), einer der bedeutendsten amerikanischen Malerinnen überhaupt. Man nähert sich mithin einer fast 100 Jahre umspannenden Biografie, der alle Naturkontemplation, alle ausgeprägte Sinnlichkeit erst abgerungen werden mussten. Nicht nur, weil O'Keeffe Weltwirtschaftskrise, Weltkriege und insgesamt 17 amerikanische Präsidenten erlebte. Vor allem hatte sie sich als Frau in einer männerdominierten Kunstwelt zu behaupten. "Ich hatte jeden Augenblick meines Lebens Angst", resümierte sie einmal, wiewohl hinzufügend: "Sie hat mich nie abgehalten, zu tun, was ich wollte."
Künstlerischer Dialog mit der Fotografie
Schon in den 1920er-Jahren kam O'Keeffe der Status einer Ikone zu. Alfred Stieglitz hatte im Jahr 1916 Kohlezeichnungen O'Keeffes, zu dieser Zeit eine unbekannte Kunstlehrerin in Texas, in eine Schau seiner New Yorker Galerie 291 aufgenommen: Abstraktionen, die etwa von den theosophischen Ideen Wasily Kandinskys beeinflusst waren, dem Ausdruck von Sinnlichkeit, Gefühlen gewidmet waren. Die Bilder beeindruckten ihn, den Fotografen, nachhaltig. O'Keeffe wurde Teil des Stieglitz-Kreises, in dem Künstler wie John Marin, Edward Steichen oder Paul Strand verkehrten.
Mit Stieglitz selbst begann eine langjährige, intensive Beziehung, die im Kunstforum aus vielen Perspektiven erfahrbar wird. Vom künstlerischen Dialog erzählt eine Gegenüberstellung von späten Wolkenbildern O'Keeffes mit Stieglitz' Serie Äquivalente (1925-1930), worin anhand von Wolken das malerische Potenzial der Fotografie ausgelotet wird. Einen Blick auf die Doppelbödigkeit der Beziehung mögen unterdessen Porträt- bzw. Aktfotos ermöglichen, die Stieglitz von seiner Kollaborateurin und Muse schoss.
Doppelbödiger Ruhm
Er war es nämlich auch, der die Lesart von O'Keeffes Bildern nachhaltig in einem Sinne prägte, der ihr nicht entsprach. Ganz dem Zeitgeist folgend, hatte Stieglitz schon bei der Debütschau auf die "psychoanalytische Dimension", die spezifisch "weiblichen Formen" hingewiesen. O'Keeffes Arbeit an Fragen der Abstraktion geriet in den Schatten einer "freudianischen" Lesart.
Die Künstlerin reagierte mit realistischen Blumenbildern, für die sie sich bahnbrechenderweise die Bildsprache der zeitgenössischen Fotografie aneignete. Sie malte Nahaufnahmen, schuf Gemälde, in denen sich Monumentalität und Intimität verbinden, dem Unscheinbaren große Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die sexuell aufgeladene Interpretation ihres Schaffens konnte sie so aber nicht abschütteln. In den Pflanzenbildern sah man erst recht Verweise auf Genitalien.
Landschaft ohne Zeit
Frieden auch vor der patriarchalischen Kunstwelt fand O'Keeffe in der Wüstenlandschaft des amerikanischen Südwestens. Als sie 1929 das erste Mal nach New Mexico kam, fühlte sie ihre Kräfte neu aufflackern. Tatsächlich hatte sich die Künstlerin in der Weite stets wohler gefühlt denn in der Stadt, die sie nicht ohne klaustrophobische Untertöne malte. Mit dieser kargen Landschaft, eng verknüpft mit der Geschichte der Ureinwohner und Anziehungspunkt für viele Künstler, die im Archaischen nach einer neuen Kunst suchten, verschmolz O'Keeffe vollends. Sie ließ sich von ihr buchstäblich aufsaugen.
Sie malte Lehmhäuser und Felsformationen, fand in Tierschädeln etwas, das "auf eigentümliche Weise lebendiger ist als herumlaufende Tiere" – letztlich einen neuen Zugang zu ihrer Kunst. Nach regelmäßigen Reisen nach New Mexico kaufte sie sich 1949 – drei Jahre, nachdem ihr als erster Frau eine Schau im New Yorker Moma gewidmet worden war – ein Lehmziegelhaus in Abiquiú, errichtete dort ihren Lebensmittelpunkt. Zu den schönsten Bildern der Kunstforum-Schau gehören dabei sicher jene reduzierten, die Wand und Tür dieser Residenz zeigen. Immer wieder malte O'Keeffe die Front des Patios, um zu deren "Essenz" vorzudringen, die sich ihrer Wahrnehmung nach aber stets entzog. (Roman Gerold, 13.12.2016)